WR949 Horst Theissen

 

Ende der 1980er Jahre steht Frauenarzt Horst Theissen im sogenannten Memminger Prozess wegen illegaler Schwangerschaftsabbrüche vor Gericht. Matthias von Hellfeld erzählt.

Die passende Ausgabe “Eine Stunde History” läuft am 3. Juni 2019 auf DLFnova.

33 Gedanken zu „WR949 Horst Theissen

  1. Turtle

    Holger: Ich stimme dir komplett zu. Das Thema ist im Grunde einfach. Wer schwanger werden kann, bestimmt über den Inhalt der Gebärmutter. Nun noch ein paar Nuancen 😉

    Matthias hat insofern Recht, als dass bei einer Abtreibung ein potentielles(!) Leben beendet wird (niemand weiß ob die Schwangerschaft mit einem lebenden Kind enden wird). Die Grenze ab, wann ein Fötus tatsächlich außerhalb der Gebärmutter überleben (meinetwegen mit intensiv-medizinischer Behandlung), ist zwar nicht fix, aber Frauen, die (zu diesem Zeitpunkt) keine oder keine weiteren Kinder wollen, wissen dass idR vorher oder spätestens wenn sie raus finden dass sie schwanger sind und drüber nachgedacht haben und evtl. mit dem “Samenspender” drüber geredet haben. Und das ist lange bevor der Fötus auch nur annähernd “draußen” lebensfähig sind.

    Selbst wenn man nicht soweit geht wie manche Republikaner in den USA und schon einer befruchteten Eizelle ein Persönlichkeitsrecht zugesteht, steht man vor dem Dilemma, dass bei einer Schwangerschaft zwei Lebewesen denselben Körper bewohnen. Und die Frage, wessen Recht dazu erst kommt, ist meiner Meinung nach zunächst mal eindeutig zu beantworten: das Recht der Frau. Die war zuerst da und ohne ihren Körper wäre der Embryo/Fötus nur ein theoretisches Konstrukt. Und das Selbstbestimmungsrecht von Frauen gebietet dann einfach mal, dass Abtreibungen Teil der Gesundheitsfürsorge sein müssen (und somit auch der Medizinerausbildung).

    Klar, man kann sich auf gewisse Rahmenbedingungen einigen (z.B. eine Frist), aber das grundsätzliche Recht einer Frau auf Abtreibung in Frage zu stellen, bedeutet letztlich dass man akzeptiert, dass man Frauen zur Schwangerschaft zwingen kann. Ob man das jetzt in explizit ins Gesetz schreibt oder implizit macht, weil der Zugang zu Abtreibungen defacto kaum oder schwer möglich ist, ist letztlich relativ wurscht. Das Ergebnis ist im Zweifel das Gleiche. Und Schwangerschaft und Geburt sind zwar keine Krankheit aber nicht risikolos. Von den ganzen Dingen nach der Geburt eines ungewollten Kindes mal ganz abgesehen.

    Wer die Zahl der Abtreibungen verringern will, der wird das nicht erreichen, indem er sie möglichst schwer zugänglich macht oder Information darüber mehr oder weniger verbietet oder Frauen zu Zwangsberatungen nötigt, sondern indem er den Zugang zu Verhütungsmitteln (für alle Geschlechter) einfach und kostenlos macht. Und vernünftigen Sexualkundeunterricht an Schulen. Ein Abtreibungsrecht, dass im Strafgesetzbuch geregelt ist und netterweise Straffreiheit garantiert, ist jedenfalls nicht genug. Insofern ist der Kampf nicht zu Ende.

    Was nochmal eine andere Baustelle ist und definitiv nicht so einfach, ist die Frage nach Abtreibungen aufgrund der sog. embryopathischen Indikation (klassisches Beispiel: Beim Fötus wird eine mögliche Trisomie 21 diagnostiziert und 9/10 Frauen treiben dann ab). Allerdings kann das kein Grund sein das grundsätzliche Selbstbestimmungsrecht für alle Frauen in Frage zu stellen, sondern ist eher eine Debatte über die Stellung von behinderten Menschen in unserer Gesellschaft.

    Antworten
  2. Boris

    Bei der Sendung hat es Holgi meiner Meinung nach ein wenig übertrieben und ich bin froh, dass sein Gesprächspartner ab und an dagegen gehalten hat. Mich würde interessieren, wie viele Frauen Holgi denn kennt, die bei so einem Beratungsgespräch waren, wenn er so abstruse Vorstellungen hat, dass es nur darum ginge, die arme, dumme Frau zu entmachten und zu bevormunden. Vermutlich gar keine, sonst würde er nicht so daher reden. Wenn man kein “Bock” auf das Gespräch hat, ist das in 10 Sekunden zu Ende. Es gibt aber eben, sogar nicht dumme!!! Frauen, die vielleicht in einer Lebenssituationen sind und so eine essentielle Entscheidung treffen müssen und vielleicht gar nicht wissen, welche Unterstützung es in ihrer, für sie vielleicht in dem Moment als Ausnahmesituation zu bezeichnenden Lage, es überhaupt gibt. Da geht es absolut nicht um dumm. Das ist in etwa so, als würdest du sagen Obdachlose wären dumm, wenn sie nicht komplett ohne Beratung aus ihrer Situation wieder auf den Arbeits oder Wohnungsmarkt finden. Ziemlich verkürzte Ansicht zu dem Thema. Und nein, es gibt kein Zweifel darüber, dass Abtreibungen erlaubt sein sollten ohne wenn und aber. Wir machen ja gesellschaftlich zum Glück, verglichen mit den 60ern, enorme Fortschritte auch wenn noch viel zu tun ist. Aber ein Beratungsangebot generell als so verkürzt schlecht darzustellen, weil es ins Weltbild passt, finde ich persönlich daneben. Just my 2 cents 😉

    Antworten
    1. thomas

      Es geht schlicht nicht um ein Berantungs-“angebot”, sondern schlicht um Zwang, weshalb das Wie (die Beratung abläuft) schlicht hinfällig ist..

      Das ganze ist durch und durch moraline Gängelung..

      Danke für die Rage Holgi..

  3. Martina

    Ich habe vor Kurzem abgetrieben. Das Gespräch bei Pro Familia wollte ich nicht, musste ich aber, natürlich. Auch mein Frauenarzt meinte so: Na ja, da muss … ähm … frau ja noch mal drüber sprechen … ähm … Aha. Also, es handelt sich hierbei um einen unfassbar guten Frauenarzt, die weitere Ärztin und die Mitarbeiterinnen sind der Hammer. Und die arbeiten auch gut zusammen, ich bin sehr zufrieden. Aber irgendetwas musste er ja sagen.

    Zu mir: Ich bin 38, habe einen 10-jährigen Sohn, dessen Vater sich überhaupt nicht um den Unterhalt kümmert. Zwar pflegt er den Umgang – nachdem ich ihn hierzu auf den Pott gesetzt habe und er zunächst behauptete, das würde nicht funktionieren, man könne ja etwas vorhaben (!) – aber der Rest … nun ja. Wie auch immer. Ich bin selbstständig tätig, will auch echt kein Kind mehr (deswegen muss ich nun die Steriliisation, auch die Abtreibung, selbst bezahlen).

    Jedenfalls: Ich wollte das Gespräch nicht, weil Schwachsinn. Das Gespräch dauerte 10 Minuten, weil ich es abgekürzt habe. Die Dame hat nur leider nicht zugehört. Ich kam rein und sagte: “Ich bin schwanger, möchte abtreiben, weil ein weiteres Kind überhaupt nicht in mein Leben passt, und wenn ich damit fertig bin, lasse ich mich sterilisieren. Am Montag (es war ein Donnerstag) ist mein Termin für die Abtreibung beim Frauenarzt, er hat mich informiert” Die Dame fuhr dennoch ihr Programm ab. Ob ich mir sicher sei? Ja. Ob ich schon ein Kind hätte? Ja. Wie meine persönliche Situation aussähe? (Ich habe drauf geantwortet, lasse das jetzt aber mal offen) Ich erzähle Ihnen jetzt mal, wie so eine Abtreibung abläuft. -Müssen Sie nicht, ich war bei einem Arzt, wie berichtet, der weiß das besser. Wie wollen Sie denn zukünfig verhüten? -Habe ich schon gesagt, ich lasse mich sterilieren. Ob ich denn wüsste, dass ich ggfls. die Abtreibung durch die Krankenkasse finanzieren lassen könne? -Ja, kommt für mich nur leider nicht in Frage. Wieso nicht? – Nun, ich weiß, das mein Einkommen darüber liegt. Ich muss es selbst bezahlen. + Woher wissen Sie das? – (Gedanke: Ich kann lesen, du dumme Kuh!) – Ihre Mitarbeiterin hat mir gestern schon Ihren Flyer mitgegeben, außerdem hzabe ich hierzu im Internet bei meiner Krankenkasse recherchiert. + Ich konnte ja nicht wissen, dass meine Kollegin Ihnen schon einen Flyer mitgegeben hat. (Gedacht: Ähm … ich kann lesen?)

    Zuletzt wünschte ich ihr einen schönen Tag, ich sagte wörtlich: “Ich wünsche Ihnen einen schönen Restarbeitstag und nachher einen schönen Feierabend.” Sie so: “Ich habe noch keinen Feierabend, ich muss noch arbeiten.”

    Was für eine … dachte ich. Und ging. Weil ich natürlich auch wieder weitergearbeitet habe. Nötig zu erwähnen, dass die Dame in diesen 10 Minuten mindestens drei Mal erwähnt hat, dass sie noch nie ein so negatives Gespräch hatte (lässt sich nicht verifizieren, ich habe keine Strichliste geführt).

    Entschuldigung. Ich fühlte mich durch die Dame erniedrigt.nicht Ernst genommen.

    Letztendlioch war das Gespräch schlimmer, als die Abetreibung an sich. Und, lieber Holgi: Natürlich gibt es Abreteibungspillen in Deutschland. Ich hatte eine, und die Nichte einer guten Freunin auch.

    Antworten
    1. holgi Beitragsautor

      Jau. Da hatte ich mich vertan. Was war denn aber der Unterschied zu Frankreich, den ich da irgendwo im Hinterkopf habe…?

    2. Martina

      Ich glaube, in Frankreich können Hebammen die Pille geben? Jedenfalls, irgendwas mit Hebammen. Da lief doch vor Kurzem ein Feature bei Deutschlandfunk Kultur … *grübel*

    3. Tarifkenner

      Ich glaube, da kann ich helfen. In Frankreich wurde die Abtreibungspille 1988 zugelassen, in Deutschland erst 1999. Und in den 11 Jahren wurde sehr viel darüber diskutiert.

    4. Mithrandir

      @Tarifkennerm
      Ich hatte 1990 einen „Unfall“ mit meiner damaligen wesentlich jüngeren Freundin. Wir fuhren am nächsten Tag zum Frauenarzt und sie bekam ohne großes Palawer eine „Pille danach“.
      Da wurde weder nach Krankenschein noch nach Erziehungsberechtigten gefragt. Was ich im Umfeld gehört habe, war das auch der Normalfall bei andren Ärzten

  4. understater

    Lieber Holgi,

    leider war diese Sendung nicht die Sternstunde deiner Diskussionskultur.
    Aber egal, es gibt Themen wo ich auch zu emotional werde.

    Bin da an 2 Sprüchen hängen geblieben:

    1. “… Frauen werden immer von Männern gegängelt …”
    -> Ja! Natürlich! Derzeit können auch nur Frauen “mal eben so” Kinder bekommen. Ich
    behaupte einfach mal, dass Männer wenn sie gebären könnten genauso gegängelt würden. Weil
    es von Kultur und/oder Religion so entwickelt würde

    2. ” … als ob Frauen zu dumm sind, selber zu bestimmen …”
    -> In einer Abtreibungs-Situation sind nur Frauen! Und der Anteil an dummen Frauen
    ist vermutlich genau so hoch wie der dummer Männer.
    Betrachte ich also die Dummheit in der derzeitige Gesellschaft, liegt auch die Dummheit
    der Frauen entsprechend hoch.
    Mal andersrum betrachtet: In einer plötzlich auftretenden Krisensituation kann jeder
    plötzlich orientierungslos werden und falsche Entscheidungen treffen. Da ist eine
    erfahrenen Beratung oft hilfreich. Wenn diese dann aus Kreisen kommt die generell
    gegen Abtreibung sind ist das natürlich fragwürdig.

    Letztendlich geht es bei diesen kritisierten Praktiken um die Abtreibung
    doch um Politik. D.h. es musste ein Kompromiss geschaffen werden, der durch die
    bestehende Regierung abgesegnet wird. Und dabei entstanden diese Sekuritäten, um
    den Abtreibungsgegnern entgegen zu kommen. Wie du selber immer betonst, ist Politik
    das schaffen von Kompromissen. Und die müssen wir halt im täglichen Leben erleiden.

    Ich finde es interessant zu beobachten, wie Du, Holgi, Dich immer mehr feminisierst.
    Für mich ist Feminismus eigentlich Sache der Frauen.

    Antworten
    1. holgi Beitragsautor

      „Für mich ist Feminismus eigentlich Sache der Frauen.“

      Trollst Du oder hast Du wirklich nicht verstanden, was Feminismus ist?

    2. Mirko

      hmm, meinst du mit “Holgi feminisiert” jetzt, dass er anfängt Kleider zu tragen, oder dass ihm Brüste wachsen?

      *scnr*

    3. understater

      Ich wollte nicht trollen, aber schließe nicht aus das ich unbewusst in die Richtung gegangen bin…
      Hatte mehr dazu geschrieben es aber wieder gelöscht, weil ich denke das es am Thema vorbei geht.

    4. thomas

      @understater

      Das ist leider in vielen Punkten recht schauerlich was du hier schreibst.. Nur so viel: warum willst du Abtreibungsgegner*innen (!) entgegenkommen? Das sind Menschen, die über die Körper anderer Menschen bestimmen wollen. Diese gehen sie aber nichts an! Ohne Wenn und Aber..

      Bei keinem anderen körperlichen Eingriff gibt es eine nicht-medizinische (!) Beratungspflicht; insofern sind deine Argumente Richtung Krisensituation völlig scheinheilig und sollen den Schwangeren signalisieren: eigentlich ist das ziemlich problematisch was du hier tust..

    5. understater

      @thomas
      Das klingt jetzt so als ob jede Frau in jeder Lage das Recht haben soll ihr Kind abzutreiben.
      Da habe ich, offen gesagt, Probleme mit. Ich weiß einfach nicht wann das schon ein Mensch ist.

  5. Stefan

    @thomas
    Bei der Abtreibung entscheidet auch ein Mensch über den Körper eines anderen Menschen…
    Das macht es ja gerade so schwierig eine Lösung zu finden mit der alle Leben können…

    Antworten
    1. thomas

      selbst wenn du das Ungeborene als Menschen sehen willst; kein Mensch hat das Recht am Körper eines anderen Menschen; auf Leben und Tod nicht..

  6. Fabian

    Mich würde ja mal interessieren, ob Matthias auch bereit wäre, mit Leuten zu streiten welche Todesstrafe für “Kinder Schänder” fordern und ob er auch dabei so kompromissfähig wäre.

    Wie würde da ein solcher Kompromiss aussehen?
    Todesurteile nur bei Mehrfach- oder Wiederholungstätern?
    Bei Opfern bis zum vollendeten 12. Lebensjahr?
    Nur “milde Formen” der Hinrichtung?
    Oder schwere Körperstrafen statt Todesstrafen?

    Ich finde, es gibt ethische Fragen, bei denen ein Kompromiss, also ein Abrücken von wichtigen ethischen Grundsätzen qua Definition unethisch sind. So auch die Frage, ob die Beendigung einer Schwangerschaft grundsätzlich strafbar sein sollten, ebenso wie darüber aufzuklären.

    Gruß
    Fabian

    Antworten
    1. flyingtoaster

      Fabian, ich stimme dir zu.
      Bei gewissen ethischen Fragen ist ein Abrücken von ethischen Grundsätzen unethisch.

      Wir als Gesellschaft haben uns aufgrund unserer ethischen Grundsätze dazu entschlossen das Töten eines Menschen, der definitiv unendliches Leid über andere Menschen gebracht hat und sogar Gefahr läuft weiteres Leid zu verursachen, auszuschließen und für dieses Problem andere Lösungen zu finden. Obwohl die Tötung eines Kinderschänders eine sehr praktische und vermutlich sogar Leid minimierende Lösung wäre. Das ist gut so!
      Wie kann es dann ethisch vertretbar sein, die Tötung eines Menschen zu erlauben, der definitiv unschuldig ist, außer nicht in die Lebensplanung seiner Erzeuger zu passen.
      Dabei kommt es nicht auf den Zeitpunkt an, ab wann der Fötus als Leben angesehen wird, denn der ist unmöglich festzulegen, sondern darauf, dass der Schwangerschaftsabbruch ansich eine vorsätzliche Tötung ist, also das Leben eines Menschen vorzeitig und gewaltsam beendet und dabei sogar einige Mordmerkmale erfüllt.

      So wie wir als Gesellschaft für Kinderschänder ethischere Lösungen als die Tötung haben, so haben wir auch bei der ungewollten Schwangerschaft die Aufgabe, das Problem dadurch zu entschärfen, dass wir alles tun, damit dieses Leben willkommen ist. Eine Tötung kann immer nur die Ultima ratio sein.

      Eine Schwangerschaft kommt nicht wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel zustande, obwohl dies bei vielen Diskussion über Abtreibungen so erscheint. Damit ist das Argument, dass Frauen über ihren eigenen Körper zu entscheiden haben, nicht so stark, wie es gerne hingestellt wird. Diese Argument sticht eigentlich nur bei einer Vergewaltigung durch, weshalb unter diesen Umständen eine Abtreibung ja schon lange möglich war. Es gibt viele kinderlose Paare, die sehnsüchtig auf ein Kind zur Adoption warten, damit würde eine ungewollte Schwangerschaft auch keine Folgen nach sich ziehen, die das Leben völlig verändert.

      Eine weitere nicht unterschätzende Gefahr eines liberalen Abtreibungsrechts ist das Abgleiten in Euthanasie. In manchen der Regionen der Welt werden z.b. Kinder wegen ihres Geschlechts abgetrieben. Was wäre, wenn irgendwann frühe Voraussagen über die Eigenschaften des Kindes möglich sind. Schließlich deutet sich an, dass Charakter, Intelligenz, politisch Einstellung, Gesundheit und Lebenserwartung zu einem erheblichen Anteil (epi-)genetisch determiniert sind.
      Wir wissen nicht was die Zukunft bringt, aber möglicherweise wird irgendwann Eltern (von staatlicher Seite) empfohlen, Kinder nicht auszutragen, die den Anforderungen der Zukunft nicht gewachsen sind. Wenn wir einmal die Tür geöffnet haben, wird sie auch weiter aufgestoßen.

      Es gibt also durchaus mehr Gründe mit der Liberalisierung der Abtreibung vorsichtig umzugehen, als die Gängelung der Frau. Ich sehe auch nicht das Argument, es sei eine Frage der Gleichberechtigung, so haben auch Männer nicht die Entscheidungsgewalt über die Tötung eines Lebens.
      Schließlich ist auch die Frage, wie selbstbestimmt die Entscheidung einer Frau wirklich ist, die eine Abtreibung aus ökonomischen Gründen oder auf Druck des Partners erwägt.

      Ich persönlich bin der Meinung, dass unser bestehendes Abtreibungsrecht einen vertretbaren Kompromiss darstellt. Im Übrigend hat das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt, dass Abtreibung nur mit Ausnahmen straffrei sein darf und Art. 1 und 2 unseres Grundgesetzes des Staat dazu verpflichtet auch ungeborenes Leben zu schützen.

      Für die eigene Psychohygenie ist es besser einem politisch anders denkendem Menschen keine niedere Motive zu unterstellen. Dies erzeugt zwar eine Aufwertung der eigenen Position, verdeckt aber den Blick auf die berechtigten Beweggründe Andersdenkender. Außerdem führt es zu Entmenschlichung und Radikalisierung.

      Es gibt übrigens nur recht geringe Unterschiede zwischen den Geschlechtern, was die Zustimmung oder Ablehnung zu eines liberalen Abtreibungsrecht angeht. (s. https://www.ipsos.com/de-de/einstellungen-und-meinungen-zum-schwangerschaftsabbruch-europa-eine-vergleichende-studie)

      Wer Abtreibungsgegner überzeugen will, könnte damit anfangen zu erklären, warum die Tötung eines ungeborenen Lebens ethisch vertretbarer ist, als die eines Kinderschänders, oder wie man die Grenze zwischen Abtreibung und Euthanasie sicherstellt.

  7. christian von praun

    Mir geht diese Bevormundung durch den Staat ja gegen den Strich. Das Paar sollte gemeinsam entscheiden ob abgetrieben wird wobei das letzte Wort bei der Frau liegt – ist ja schließlich Ihr Bauch. Eine Einmischung seitens des Staates bedarf es da meiner Meinung nach nicht.

    Uns wurde damals die Möglichkeit eröffnet unser Kind könnte schwerstbehindert sein und würde höchstens zwei Jahre alt (er ist gesund und mittlerweile 9 Jahre alt) Wir haben uns damals entschieden, das Kind auf jeden Fall zu bekommen – schlußendlich die richtige Entscheidung aber die Entscheidung hätte uns kein Gesetz, keine Beratungsstelle, keine Kirche, nicht die Eltern, niemand abnehmen können.

    Antworten
  8. Stefan

    Eines vorweg, ich bin absolut der Meinung das Frau alleine, ohne Gängelung oder moralischen Zeigefinger von außen darüber entscheiden können sollte ob sie abtreibt.
    Nun bin ich aber in einer Situation, die selten ist.
    Ich bin Vater von zwei Kindern, inzwischen fast zwei Jahre alleine erziehend (und ja die Mutter hat die Kinder wirklich nur alle 14tage eine Wochenende lang)
    Beide Kinder habe ich mit meiner Partnerin gezeugt als ich davon ausging das sie die Pille nimmt, bei beidem zweiten Kind hat sie mir im nachgang gesagt das sie die Pille abgesetzt hatte.
    Dazu muss ich sagen das im Rückblick ihr Verhalten damals schon auf Ihre später Diagnostizierte Psychose hingewiesen hat, ich es damals aber nicht gesehen haben.
    Dabei war Aufgrund unserer Lebenssituation zum Zeitpunkt der Zeugung des zweiten Kindes klar das wir zu diesem Zeitpunkt kein zweites Kind haben wollen.
    Als meine Partnerin das zweite mal schwanger war, war eine Abtreibung für sie aber keine Option. Long Story Short. Ein, extrem hartes Jahr, nach der Geburt unseres zweiten Kindes hat meine Partnerin mehrere Zusammenbrüche und versuchte sich im Beisein der Kinder das Leben zu nehmen.
    Nach einer mehrmonatigen Therapie und unserer Trennung sieht sie die Kinder inzwischen nurnoch im Beisein ihrer Mutter als „Aufpasserin“.
    Nun meine persönlichen Überlegung die ich auf Basis meiner Erfahrungen angestellt habe.
    Wenn Frau ungewollt schwanger wird hat sie das Recht zu sagen „ein Kind passt gerade nicht zu meinem Leben“ und kann abtreiben.
    Mann hat im Zweifel keinerlei Handhabe(und damit meine ich nicht zu sagen“du trägst das Kind jetzt aus“ sondern zu sagen „ich dachte wir haben sex mit Verhütung, damit eben kein Kind entsteht“)
    Natürlich kann sich Mann vor der Verantwortung drücken, keinen Unterhalt zahlen und den Umgang nicht pflegen aber das wäre wie zu sagen: Frauen brauchen ja nicht abtreiben, sie können das Kind ja auch einfach zur Adoption geben oder in die babyklappe stecken.
    Ich hoffe ihr versteht den Kommentar nicht falsch, und ich weiß auch nicht was eine Lösung für das Dilemma wäre.

    Antworten
    1. thomas

      Ich möchte dich wirklich freundlich drauf hinweisen, dass du gar nicht genau benennst was das Dilemma ist und ich mich deshalb nicht in Spekulationen stürzen mag, die dir nachher unrecht tun..

      Emotional ist das Thema natürlich sehr komplex – keine Frage. Und ich will deshalb auch (rein!) emotionale Reaktionen von potentiellen Vätern gar nicht verurteilen; natürlich kann man auch eine Meinung dazu haben was mit dem “eigenen Genmaterial” (weißt was ich meine) passiert. Einzig: Rechtlich sollte diese Entscheidung keine Relevanz haben, sondern nur die schwangere Person hat über ihre Schwangerschaft zu bestimmen. Es DARF da keine Kompromisse mehr geben.

      (Ich bin im übrigen auch dafür, dass Kinder, die geboren sind, Sache des Staates sind, der verdammt noch mal die Kapazitäten haben sollte sich um Menschen zu kümmern, die hier leben. Wenns nach mir geht sollte also jeder Mann sich von jeder Vaterschaft freisprechen können. Es ehrt dich sehr, dass du es nicht so getan hast!)

    2. Stefan

      THOMAS, sorry das ich ins schwafeln geraten bin. Konkret ist das Dilemma das ich meine das:
      FRAU hat die Möglichkeit und das Recht sich NACH der Zeugung dagegen auszusprechen Mutter(gebärende) zu werden
      MANN hat diese Möglichkeit und recht nicht.

      Natürlich schließe ich daraus nicht das Mann die Frau zur Abtreibung zwingen können sollte.

      Und auch die Möglichkeit sich von einer Vatschaft, im nachgang, einfach freizusprechen kommt mir falsch vor (wiederspricht meinem Verantwortungsgefühl)
      Darum spreche ich von einem Dilemma.

      Denn die Situation würde es nicht geben wenn Abtreibung verboten wäre (nochmal zur Sicherheit, ich bin Der Meinung das legale Abtreibungen einfach zugänglich sein müssen)

      Und was mich zu meinem Kommentar veranlasst hat war der Punkt das ich ein Problem damit habe wenn der Mann in der Abtreibungsdebatte komplett außen vor gelassen wird, eben weil die Entscheidung abtreiben oder nicht, im Zweifel einen erheblichen Einfluss auch auf das Leben des Erzeugers hat.

    3. thomas

      Ja, ich gestehe dir auch zu damit ein Problem zu haben, ich fürchte nur es gibt zu dieser Asymmetrie keinen Alternative; Manche Menschen können Schwanger werden, andere nicht :/

    4. Matthias Westfehling

      Hallo Stefan,
      Vielen Dank, dass du solch private Dinge teilst. Allerdings frage ich mich eine Sache. Warum hast du in deinem Fall eigentlich nicht verhütet?
      Ich argumentiere aus Sicht eines homosexuellen Mannes. Ich finde es einigermaßen seltsam, dass viele hier nicht willens,oder in der Lage sind ein Kondom zu benutzen, und das Thema komplett an die Frauen abschieben.
      Vielleicht bin ich aber auch zu naiv.

      Viele Grüße

  9. Tarifkenner

    Man kommt bei diesem Thema nicht an der entscheidenden Frage vorbei, ob der Fötus schon ein eigenständiges Recht auf Leben hat (1), zumindest ein schützenswertes Rechtsgut ist (2) oder aber ein Teil des Bauchs der Frau ist wie etwa der Appendix (3). Wenn man (3) ablehnt, ist die Argumentation mit “Mein Bauch gehört mir” m.E. hinfällig, denn es geht eben nicht um den Bauch, sondern um ein eigenständiges Leben/Schutzgut. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau ist zweifellos ein wichtiges Rechtsgut, muss aber – bei Ablehnung von (3) – in Abwägung mit dem Rechtsgut Leben des Fötus gebracht werden.
    Ich finde Position (3) schwer zu vertreten. Wirbeltiere darf man nicht ohne vernünftigen Grund töten, auch nicht, wenn man ihr Eigentümer ist. Will man wirklich dem menschlichen Fötus weniger eigenständigen Lebensschutz zugestehen als einer Kaulquappe?
    Was mich an Holgis Haltung zu diesem Thema immer etwas befremdet ist, jedem Vertreter der Positionen (1) oder (2) zu unterstellen, dass er eigentlich nur die Frauen gängeln möchte. Mit so einer Einstellung kommt man eher selten zu echtem Erkenntnisgewinn.

    Antworten
    1. Stefan

      TARIFKENNER, ja Wirbeltiere darf man nicht ohne hinreichenden Grund töten, ein solch hinreichender Grund ist aber auch „ich will mich in Zukunft nicht darum kümmern“, wenn du also mit deinem Hund, Katze, Meerschweinchen… zum Tierarzt gehst um sie einzuschläfern sagt der Dir auch nicht „sie müssen erst zu pro maunz gehen und sich beraten lassen ob sie dieses Tier wirklich töten wollen“

      Und was den Kaulquappen Vergleich angeht, wenn du die Kaulquappe in freier Natur triffst gehört sie Dir nicht und du hast keinerlei Recht sie zu töten.

    2. thomas

      kein Mensch hat Anspruch auf die körperliche Integrität eines anderen Menschen (Notwehr etc. außen vor). Du kannst auch nicht gezwungen werden eine Niere zu spenden, selbst wenn du damit ein Leben rettest. Warum sollte hier eine Ausnahme gemacht werden?

      Das Beharren darauf, dass das körperliche Wohl von Schwangeren sehrwohl hintergehbar ist, spricht schon dafür, dass hier die weibliche Selbstbestimmung schlussendlich doch vielen ein Dorn im Auge ist. Nichts für ungut..

      (Übrigens würde, wenn du (3) rechtlich ablehnen würdest; dem Phötus ein besonderes Recht zusprechen, dann auch eine Vergewaltigung kein zu rechtfertigender Grund für eine Abtreibung sein. Das ist dann der Dogmatismus mit dem immer wieder Todesstrafebefürworter*innen auffahren)

    3. Tarifkenner

      @Stefan. Du irrst. Sein gesundes Haustier einschläfern zu lassen, weil man keine Lust hat, sich um das Tier zu kümmern, ist mit oder ohne Beratung schlicht und einfach verboten. Die Unlust, sich um das Tier zu kümmern ist *kein* vernünftiger Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes. In diesem Fall muss sich der Tierhalter um eine anderweitige Unterbringung des Tieres kümmern (Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 17 Tierschutzgesetz, Randnummer 47).

  10. Tarifkenner

    @thomas. Doch, es kann durchaus Situationen geben, in denen ein Mensch verpflichtet ist, von seinem Recht auf körperliche Selbstbestimmung Abstriche zu machen, um einem Menschen das Leben zu retten. Beispiel: Eine Gruppe von Menschen ist irgendwo eingeschlossen, darunter ein Säugling und eine laktierende Frau (die nicht die Mutter des Säuglings ist). Andere Säuglingsnahrung ist nicht verfügbar. Die Frau muss dem fremden Kind ihre Milch geben, bevor dieses verhungert, auch wenn es durchaus zu ihrem Recht auf körperliche Selbstbestimmung gehört, nicht zu stillen.
    Anderes Beispiel: Bei großer Kälte trifft ein Spaziergänger auf ein Unfallopfer. Der Spaziergänger muss erste Hilfe leisten, selbst wenn er dadurch erst 30 Minuten später nach Hause kommt und in dieser Zeit friert – solange ein ERfrieren des Spaziergängers ausgeschlossen ist.

    Es stimmt auch nicht, dass aus einer Ablehnung von (3) folgt, dass es keine kriminologische Indikation geben kann. Man kann von einem Lebensrecht des Fötus oder von Fötus als schützenswertem Rechtsgut ausgehen, und dennoch diesem Rechtsgut nicht dieselbe Qualität wie dem Leben eines geborenen Menschen zuschreiben. Dadurch kann das Leben des Fötus auch gegenüber Belangen der Frau zurücktreten, die nicht die Dringlichkeit von Leben und körperliche Gesundheit haben.

    Antworten
  11. nin

    Mich betrifft das Thema Abtreibung (ausgehend davon, dass es auch mein Selbstbestimmungsrecht ist, das mit §218 und §219 eingeschränkt wird, als auch emotional), ich hätte mir aber trotzdem eine weniger hitzige DIskussion darüber gewünscht bzw. noch mehr Informationen über/um das eigentliche Ereignis.

    (Vielleicht stört es mich auch, dass Abtreibung hier in “nur” etwa 20 Minuten diskutiert wurde. Eigentlich hat das Thema inzwischen so viel Geschichte/Konsequenzen/Realitäten geschaffen, dass es locker einen längeren Beitrag verdient hätte.)

    Antworten
  12. Meo

    Ich will mal nen ganz anderen Aspekt reinbringen, der mich an der Sendung gestört hat: Ich weiß immer noch nicht so wirklich wer Horst Theissen denn nun war, weil, außer in zwei-drei Nebensätzen das Thema zu weit abgeschwiffen ist.

    So sehr ich auch verstehen kann, was für ein heißes Eisen das Thema ist, hätte ich mir doch etwas mehr das eigentliche Thema gewünscht.

    Und…hüstel….mehr Frauen, wenns um die selbst Diskussion geht, sonst reden wieder Kerle über Frauen und das, was Frauen eigentlich bestimmen müssen sollten.

    @holgi
    Wär es ne Option nochmal ne Nachfolge zu machen, wo Ihr den Fall Theissen nochmal ausschleißlich beleuchtet?

    Sonst muss ich wieder zur allwissenden Müllhalde wandeln 😉

    Antworten
  13. Name

    Horst Theissen und der Memminger Prozess hatten ja in dieser Episode nicht allzu viel Raum. Trotzdem eine interessante Diskussion. Bloß gut, dass Matthias sich von Holgi nicht hat kleinreden lassen. Schwer zu sagen, ob letzterer in der Sendung überhaupt seine persönliche Meinung kundgetan hat oder im Sinne einer interessanten Radiodiskussion provozieren wollte, so krass war das.

    Bei der Diskussion muss zunächst der Beginn des schützenswerten Lebens geklärt werden. Soll es mit Befruchtung der Eizelle beginnen, wenn bereits Organe entwickelt und Herzschlag messbar sind oder gar erst mit der Geburt? Oder noch zu einem anderen Zeitpunkt? Sofern der Zeitpunkt noch vor der Geburt liegen soll, wofür sich sinnvoll argumentieren lässt, dann hat es eben nichts mehr mit einer Bevormundung von Frauen zu tun, wenn man ihr eine völlig freie Entscheidung über eine Abtreibung absprechen möchte. Dann muss auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit des Fötus berücksichtigt werden.

    In Anbetracht dess sollte einer Schwangeren doch einiges zumutbar sein. Um mal gleich bei einem Extrembeispiel zu bleiben bei einer ungewollten Schwangerschaft nach einer Vergewaltigung: sollte der Zeitpunkt bereits eingetreten sein, dass ein Fötus herangewachsen ist, dem man Rechte i. S. d. GG zusprechen müsste, wäre dessen Austragung durch die Schwangere doch durchaus zumutbar, sofern mit keiner erhöhten gesundheitlichen Gefahr verbunden. Immerhin müssen hier bloße etwaige Unbequemlichkeiten für die Schwangere gegen das Gut des Rechts auf Leben abgewogen werden.

    Selbstverständlich bedürfte es dann weitergehender Regelungen, da etwa die Erziehung des Kindes womöglich nicht mehr zuzumuten sein müsste und auch eine finanzielle Entschädigung für die Zeit der Schwangerschaft mit etwaigen damit verbundenen Einschränkungen und zusätzlichen Ausgaben geregelt sein sollte. Aber an der grundsätzlichen Zumutbarkeit des Austragens sollte es doch gar keine Zweifel geben geben können, wenn man die Interessen des Fötus und der Mutter gegeneinander abwägt, in Anbetracht der Schwere der Nachteile für den Fötus im Falle einer Abtreibung.

    Habe momentan leider zu wenig Zeit für eine differenziertere Erörterung, aber vielleicht trage ich das noch nach. Was ich bisher hier in den Kommentaren gelesen habe, war leider in großen Teilen wenig überzeugend und bedürfte eben einer differenzierteren Erörterung.

    Antworten
  14. Nina Q.

    Ein Aspekt, der mir bei der Diskussion um Abtreibungsrecht stets zu kurz kommt, ist die Verfahrensweise bei Spätabtreibungen, den Turtle nur ganz kurz angerissen hat, weshalb ich dazu hier gerne etwas schreiben möchte. Seit 1995 ist bei einer „medizinischen Indikation“ auch eine Spätabtreibung straffrei möglich. Spätabtreibung bedeutet: Der Fötus kann über die übliche 12 Wochen Regelung hinaus straffrei bis zum natürlichen Ende der Schwangerschaft, also bis zum Einsetzen der Presswehen, abgetrieben werden. Sollte die SS bereits über die 20. SSW hinaus bestehen, ist der Fötus zum Teil auch außerhalb des Mutterleibs lebensfähig. Wenn dies der Fall ist, wird der Fötus in der Gebärmutter, meist durch eine Kaliumchloridinjektion ins Herz, zunächst getötet. Anschließend erfolgt die Vergabe von Wehenmitteln, damit die Frau den Fötus als Totgeburt auf die Welt bringen kann. Unter der „medizinischen Indikation“ wird hier nicht der gesundheitliche Zustand des Fötus verstanden. Vielmehr ist damit gemeint, dass der Schwangeren durch die Fortsetzung der Schwangerschaft körperliche oder seelische Schäden drohen würden, beispielsweise da nach einer pränataldiagnostischen Untersuchung nach der 12. SSW Hinweise auf eine Fehlbildung des Kindes bestehen und die Frau dies körperlich oder psychisch als nicht zumutbare Belastung empfindet. Bedingung für eine solche Spätabtreibung ist, dass nach der ärztlichen Diagnose eine dreitägige Bedenkzeit eingehalten und eine Beratungsinstanz hinzugezogen wird. Ich habe versucht es so sachlich wie möglich zu schildern…
    Ich möchte gerne dazwischenschieben, dass ich Holger bei seiner berechtigten Kritik der Handhabung von Schwangerschaftsabbrüchen als Straftatbestand in allen Punkten voll und ganz zustimme!
    Mir persönlich, dich ich seit 12 Jahren mit Menschen mit Behinderung arbeite und auch Freunde habe, die körperlich behindert sind, geht hierbei vor allem die rechtliche Ungleichbehandlung von Föten gegen den Strich und dass dieser Umstand bei sämtlichen Debatten zumeist unterschlagen wird. Wir reden hier von Föten, zu denen sich eine Frau/ein Paar aus freien Stücken bereits entschlossen hatte. Natürlich wünscht sich jede Mutter ein gesundes Kind! Aber für mich suggeriert diese Unterschiedlichkeit in der gesetzlichen Handhabe, dass es ein Recht auf ein gesundes Kind (Was ist das eigentlich?!? Ein gesunder Mensch? Und wer entscheidet darüber?) gäbe und dass alles, was diesem Bild zuwider laufe, wie Beispielsweise die Diagnose Trisomie 21, „ja nicht sein müsse“ heutzutage.
    Es findet sich keine klare Definition in den Gesetzestexten, ab wann diese „medizinische Indikation“, also die unzumutbare Belastung der Frau, beginnen darf. Ist das bereits bei einer „leichten“ körperlichen Fehlbildung des Kindes der Fall? Oder bei vermuteter chronischer Erkrankung?
    Ich habe selbst keine Lösung für diese großen ethischen Fragen. Und natürlich sollen Frauen nicht vom Gesetzgeber gegängelt und entmündigt werden! Aber ich finde es wichtig, dass der Aspekt der Spätabtreibung bei der Diskussion nicht ständig unter den Tisch fällt.
    Denn für mich ist dies nur ein weiteres Beispiel dafür, wie Menschen mit Behinderungen zumeist unsichtbar gemacht werden in der öffentlichen Debatte. Was die Unsicherheit und das Alleingelassenfühlen von Familien, die vor eben solchen schweren Entscheidungen stehen, weiter zementiert. Wenn wir eine offenere und ehrlichere Debatte über Abtreibungspraxis in Deutschland führen wollen, dann gehört dieses Thema für mich einfach dazu.

    Antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert