WR1238 Socialpolitik, Patentsozialismus und Bildungsfolgen

 

Mit Rüdiger Bachmann und Christan Bayer.

Christian bekommt Gelegenheit, abzuschwören (was er nicht macht), ich lerne den Verein für Socialpolitik kennen, wir lernen, dass Erwartungsfehler von Vermögensungleichheit abhängen, dass Unsicherheit zu Konsumverzicht führt und Corona die Bildungsungleichheit zusätzlich verstärkt hat.

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Das gelegentliche Brummen ist ein amerikanischer Rasenmäher!

15 Gedanken zu „WR1238 Socialpolitik, Patentsozialismus und Bildungsfolgen

  1. Sandra

    Hm, tue mich etwas schwer mit Christians Argumentation bezüglich moralischem Verhalten. Moralisches Verhalten funktioniert ja nicht nur durch Überzeugungsarbeit im Freundeskreis, sondern sorgt selbstverständlich darüber hinaus für einen gewissen “Konformitätsdruck”.

    Im Kleinen betrachtet ist das einer der Gründe, weshalb so viele Konservative bspw. Probleme mit Vegetariern haben: Jeder Vegetarier da draußen demonstriert, dass man auch ohne Fleischkonsum leben kann – und alleine schon durch die simple Tatsache entsteht ein Druck, sich zumindest mit dem eigenen Fleischkonsum zu beschäftigen, vollkommen unabhängig von einem Freundschaftsverhältnis.

    Und das funktioniert natürlich auch im großen: wenn du zeigen würdest, dass selbst verschwenderische Luxusgesellschaften wie hier in Deutschland CO2-neutral leben könnten – und das möglicherweise sogar noch rentabel ist – steigt alleine durch diese Tatsache der Druck auf andere Staaten, auch außerhalb der EU.

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  2. The Political Economist

    Bleiben wir doch einfach im ökonomischen Modell, auf dem Bayers Argumente basieren: Das Modell internationaler öffentlicher Güter.

    Und hier bleibt das Hauptproblem, dass er weiterhin die europäische Dimension nicht richtig berücksichtigt. Die Aussagen wären nur dann richtig, wenn Deutschland alleine agieren würde und Klimaschutz nicht in der EU geregelt werden würde. Doch durch die EU wird das internationale öffentliche Gut anteilig auf ein “europäisches öffentliches Gut” heruntergebrochen.

    Genauso wie Deutschland jedes Bundesland und jede Gemeinde dazu verpflichteten kann an dem “deutschen öffentlichen Gut” (Deutsche Ziele) Klimaschutz beizutragen, kann die EU dies nun eine Ebene höher für die EU-Länder tun (ETS & effort sharing). Man würde ja auch nicht auf die Idee kommen zu sagen: Nur weil Freiburg bis 2035 klimaneutral sein möchte, sei das kontraproduktiv, da die Chinesen und die Amerikaner dadurch weniger machen.

    Aufgrund des Rechtsdurchsetzungsmechanismus entfällt das Trittbrettfahrerphänomen (und die Verdrängungseffekte) innerhalb der EU. Und genau deswegen kommt es für andere Länder NUR darauf an, was die EU als ganzes macht und nicht was ein einzelnes Land, Bundesland oder Gemeinde tut. Wenn Deutschland oder Freiburg mehr macht, kann es China rational gänzlich egal sein, eenn die EU hingegen mehr macht nicht. Aber diese Diskussion wurde ja explizit nicht geführt.

    Insofern bleibt das zentrale Argument von Bayer, dass das deutsche Bundesverfassungsgerichtsurteil international klimatechnisch kontraproduktiv sei, ökonomisch falsch.

    PS: Was für Deutschland am effizientesten ist (jetzt mehr vermeiden und dafür später über effort sharing Geld bekommen, oder jetzt weniger vermeiden und dafür später teuer effort sharing bezahlen) steht wiederum auf einem ganz Blatt.

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    1. The Political Economist

      PPS: Marktversagen durch öffentliche Güter ist übrigens nicht nur die Ursache von zu niedrigem Klimaschutz, sondern auch der Grund warum wir Patente brauchen. Insofern schließt sich der Kreis zum anderen Thema des Podcasts. Mit dem Unterschied, dass ich hier dem Kollegen Bayer (und Bachmann) nur beipflichten kann.

      Denn hätten wir keine Patente, wären auch Erfindungen quasi ein öffentliches Gut (Nichtausschließbarkeit & Nichtrivalität). Andere Menschen würden von meiner Erfindung profitieren, ohne dass Sie selbst dazu beigetragen haben (Trittbrettfahrerproblem). Zudem besteht jedoch keine Konkurrenz im “Konsum” des Patents. (Wenn ich es nutze, kann es auch gleichzeitig ein anderer Nutzen).

      Das Problem ist nun das gleiche wie beim Klimaschutz: Das öffentliche Gut (Erfindungen) wird nicht bzw. in einem unzureichenden Maße bereitgestellt. Ein Mensch wird nur insoweit zu diesem beitragen als dass dies seiner Grenzzahlungsbereitschaft bzw. erwarteter Grenznutzen / Grenzkosten entspricht. Also einfach ausgedrückt: Nur insoweit dazu beitragen wie er erwartet, dass es sich für ihn lohnt.

      Da leider die meisten so denken ist am Ende das Gesamtniveau an Erfindungen zu niedrig, weil viele sich ganz rational für Trittbrettfahren entscheiden. Schließlich profitieren sie von den Erfindungen ohne, dass sie Kosten tragen müssen. Auch hier kann man von einem Verdrängungseffekt wie oben beim Klima kommen, sodass Menschen Erfindungen nicht tätigen werden, obwohl sie hierfür eine positive Zahlungsbereitschaft hätten – weil es andere tun, bzw. mehr dazu beitragen.

      Das heißt nicht, dass Erfindungen gänzlich ausblieben, wie das Beispiel vieler Patente wie Polio zeigen. Hier haben Erfinder eine hinreichend altruistische Nutzenfunktion. Da wir aber besser ein negatives Menschenbild annehmen sollten, sollten wir nicht von diesen Einzelfällen auf die Gesamtheit schließen.

      Um das Problem öffentlicher Güter zu beheben, muss ich entweder
      1. die Menschen dazu verpflichten zu dem öffentlichen Gut beizutragen, so wie die EU dies für Ihre Mitgliedsländer kann, während dieser Mechanismus auf internationaler Ebene nicht existiert. Oder
      2. Man löst das Problem der “Nicht-ausschließbarkeit” indem man das Gut anschließbar macht. Das heißt, jemand anderes kann nicht von dessen Bereitstellung profitieren, wenn er selbst nichts dazu beiträgt.

      Beim Klimaschutz ist die Herstellung der Ausschließbarkeit etwas schwierig. Beim Pandemieschutz, was auch ein öffentliches Gut ist, war das schon einfacher: Man macht einfach die Grenzen (zu wie Australien und Neuseeland) und schwupps hat man aus einem internationalen öffentlichen Gut ein nationales gemacht – und kann seine Bürger wiederum verpflichten dazu beizutragen.

      Bei Erfindungen kann man Menschen wiederum nur schwerlich verpflichten zu forschen. Es gib aber die Möglichkeit der Patente, die eine Ausschließbarkeit herstellen. Wenn jemand die Erfindung nutzen möchte, muss er eine Lizenzgebühr bezahlen, die seiner Zahlungsbereitschaft entspricht. Ich als Erfinder bekomme zusätzlich durch die Lizenzeinnahmen “Nutzen”, sodass ich das Maß, indem ich Forsche und Erfindungen bereitstelle wiederum erhöhe, da es sich auf einmal für mich viel mehr lohnt dies zu tun. Dies erhöht letztendlich gesamtgesellschaftlich die Menge und das Ausmaß an Erfindung, da in der Summe die Bereitschaft steigt zu forschen und Dinge zu erfinden – und das sollte in unserem aller Interesse sein.

      Unser Interesse sollte sogar so hoch sein, dass wir forschende und erfindende Menschen finanziell unterstützen und fördern / subventionieren. Denn selbst Patente reichen oft nicht, dass das gesamtgesellschaftlich optimale Menge an F&E erreicht wird. Grund sind wie auch schon beim Klima externe Effekte/Externalitäten, mit dem Unterschied, dass jene in diesem Falle positive externe Effekte sind.

      Das heißt ich habe mit meiner Erfindung einen positiven Effekt auf den Nutzen von jemand anderen (z.B. Grundlagenforschung), den ich nicht internalisiert habe. So wie ich negative Externalität mittels einer (negativen) Bepreisung wie einer CO2 Steuer internalisieren kann, so sollte ich umgekehrt positive Externalitäten ebenfalls mittels positiver Bepreisung fördern.

      Bestes Beispiel ist der Impfstoff: Geschätzter gesamtgesellschaftlicher Nutzen für 1 Mrd. Dosen Impfe: 1750 Mrd. USD. (Castillo et al. 2020). Kosten bei 15 USD pro Dosis: 15 Mrd. USD. Ergo der positive externe Effekt ist mehr als das 10-fache!

  3. Chris

    nur ganz kurz zum Argument, wenn der Staat irgendetwas macht führt das gleich zum Kommunismus und als die Hausärzte mit dem Impfen angefangen haben, ging es erst richtig los.

    Ich halte beide Argumente für Scheinargumente. Die Hausärztinnen wurden ins Boot geholt, als genügend Impfstoff vorhanden war. Das mehr an Impfungen liegt nicht an den HausärztInnen, sondern an der Impfstoffversorgung.
    Ich kenne die Argumente, Dänemark ist ja nur ein kleines Land, kann man nicht vergleichen,…. aber halte sie in diesem Zusammenhang für Blödsinn. Hier wird NUR in den Impfzentren geimpft. Mit dem Ergebnis, dass bereits vor 4 Monaten, auf 2 Wochen genau mein Impftermin stand. Die Terminübersicht wurde zwar regelmäßig überarbeitet, Auswirkungen hatte es auf mich 55 Jahre alt nicht. Auf die 30-35 Jährigen schon, da sich die Impfpriorisierung ein wenig verändert hat und Dänemark Astra Seneca immer noch nicht wieder ins Impfprogramm aufgenommen hat.
    Will sagen, wenn Staat vernünftig plant, kann er sehr wohl eine Aufgabe, wie das Impfen vernünftig durchführen und zwar wesentlich effektiver als in dem Chaos in Deutschland. Aber selbst zur Erkenntnis, was fehlt uns in Deutschland, um eine solche Aufgabe effektiv zu lösen recht es ja nicht (z.B.: Digitalisierung des Gesundheitswesens und der Verwaltung)

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  4. olf

    Der Verein für Socialpolitik war früher etwa so links wie Otto von Bismarck. Das waren überwiegend bürgerlich-konservative Akademiker, die weder die Positionen von SPD noch von Gewerkachaften oder der Arbeiterbewegung vertraten. Im Gegenteil, die meisten Vertreter wollten mit Sozialistengesetzten die Sozialdemokrtie bekämpfen und mit Kranken- und Unfallversicherung den Status quo erhalten. Abgelehnt habe sie deshalb auch den Manchesterkapitalismus. Dazu gab es noch hässlich Rassismus und Antisemitismus vom Gründer Schmoller. Anfang der 30er Jahr war dann Werner Sombart Vorsitzender des Vereins. Sombart war ein Vertreter “Konservativen Revoulition”. Wie bei Carl Schmitt oder Martin Heidegger weiß man aber oft nicht so genau wann er gerade Nazi war und wann nur ein gewöhnlicher Antisemit und Rassist.

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  5. Simi

    Dass Impfstoff nur von großen Kapitalgesellschaften produziert werden könne, finde ich auch nicht wirklich plausibel. Autoritärer Staatssozialsmus als Gegenargument erinnert mich schon sehr an die kalten Krieger der 80er Jahre. Ich glaube man kann effektivere und vor allem gerechtere Pharmamärkte auch jenseits von Aktiengesellschaften organsieren, z.B. durch gemeinnützige oder genossenschaftlich organisierte Unternehmen. In vielen Länder kommen gerade wegen dem bestehenden System Menschen nicht an die notwendigen Medikamente.

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    1. Simi

      Wie jetzt auch schon durch Eigenkaptial, Beteiligungsfinanzierung, Kredite, Darlehen, Zuschüsse, Fördergelder etc. Bei Biontech waren z.b. private Investitiionen ein Problem und die EU hat massiv Fördergelder investiert. Für Pandemien ein Krisenmechanismus auch zur Finanzierung (neben Produktion und Distribution) sinnvoll, am besten weltweit oder zumindest in der EU. Wenn das politisch erwünscht ist und privates Kapital ausbleibt sind ein paar Buchungen bei den entsprechenden Banken nicht das Problem. Ich glaube dass wir zwar Märkte brauchen, aber Aktienmärkte im heutigen Sinn führen eher zu Problemen.

  6. Gregor

    Hi!
    Bei 8:45 min sagt Christian: „Darum geht‘s: Mit dem gleichen Einsatz möglichst viel CO2 einzusparen“. Das ist meiner Meinung nach kein Konsens, sondern der Kernstreitpunkt. Der Budgetansatz in der Klimaforschung besagt, dass es darum geht, eine globale CO2-Nullemission ab einem bestimmten Zeitpunkt, z.B. 2050, zu erreichen.

    Was evtl. ähnlich klingt, ist ein Riesenunterschied. Im Budgetansatz wird davon ausgegangen, dass „möglichst viel CO2-Einsparung“ zu wenig sein und zu katastrophalen Folgen führen kann, und deshalb als Ziel ungeeignet ist. Stattdessen wird das Ziel verfolgt, auf ‚Null‘ zu kommen (die Diskussion um Netto-Null würde ich erstmal ausklammern, wenn das okay ist). Wenn wir global auf Null kommen müssen, dann muss auch Deutschland auf Null kommen. Und dann stellt sich die Frage des Einsatzes ganz anders: Der Einsatz ist vom Umfang her festgelegt, nämlich so hoch, dass wir auf Null kommen.

    Natürlich ist es dann entscheidend, wie schnell und wie steil reduziert wird (darum ging es ja auch im BVerfG-Urteil, und z.B. im SRU-Gutachten „Pariser Klimaziele erreichen mit dem CO2-Budget“ (2020) auf S.42 sieht man das schön dargestellt). Aber *dass* man auf Null kommen muss und *dass* der dafür notwendige Einsatz aufgewendet werden muss (global wie national), ist im Budgetansatz klar. In Christians Ansatz ist das – wenn ich ihn richtig verstanden habe – nicht so.
    Schöne Grüße und vielen Dank für den Podcast,
    Gregor

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  7. T.

    Themenwunsch für die nächste Folge: Erläuterung und Diskussion der These, wir stünden vor einer unausweichlichen Hyperinflation, weil Staaten sich zunehmend übers Gelddrucken finanzieren.

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    1. Egal

      Von wechen Ökonomen wird das aktuell vertreten? Ich hab eher das Gefühl, dass bestimmte Kapitalfraktionen gerade das fordern, so lange sie direkt davon profitieren. Bei Investitionen in gerechte Bildung, Wohnungen, prekär Beschäftigte, arme Kinder und Jugendliche etc sieht es natürlich anders aus.

  8. Martino

    nochmal zum CO2:

    Ich glaube, dass die unterschiedlichen Standpunkte daher kommen, dass hier von verschiedenen Prämissen ausgegangen wird:
    Die Kommentatoren (auch ich) gehen davon aus, dass die erforderlichen Senkungen und dann die Nullemissionen erreicht werden. Das BVerfG tut dies ebenfalls und argumentiert daher über das CO2-Budget und die drohenden Einschränkungen, wenn das Budget verbraucht ist.

    Wenn wir aber mal in Betracht ziehen, dass Klimaschutz den meisten Ländern egal ist und die Paris-Ziele sowieso nicht eingehalten werden, erklärt sich Christians “Verhandlungspfand” deutlich leichter. Zwischen den Zeilen kommt das auch schon raus.

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  9. Thomas

    Es gibt diese schöne Geschichte von der Antibiotika-Forschung. Wegen multiresistenter Keime geht uns ja irgendwann das Antibiotika aus, also müssen neue Varianten erforscht werden. Diese neuen Varianten dürfen dann aber nur sparsam eingesetzt werden, damit sich nicht wieder so schnell resistente Keime dagegen ausbilden. Das hat zur Folge, dass es sich für kein Unternehmen lohnt, auf diesem Feld zu forschen. Würde man das dem Markt überlassen, hätten wir bald kein Antibiotika mehr.
    Ich kann das gerade nicht mit Quellen belegen, aber es scheint mir ein sehr glaubhafter Mechanismus zu sein, wo der Markt eben nicht die Innovation treibt bzw. sie sogar behindert. Will gar nicht abstreiten, dass der Markt uns MRNA gebracht hat und Marktwirtschaft in Summe zu mehr Innovation führt, aber wie geht man mit solchen Situationen um? Welche Regelungsmöglichkeiten sieht denn die Ökonomie für sowas vor?

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    1. Titus von Unhold

      Die mRNA-Patente sind auch nicht vom Markt, sondern Ergebmisse der universitären Forschung die aus Steuergeld finanziert wurde und dann den Weg in die Wortschaft gefunden hat als klar war dass man dami sein Geld vermehren kann.

  10. Patrik Müller

    Bezüglich Umsetzung von Forschung und der Rolle von intrinsischer Motivation
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    Ich habe über die Behauptung gestaunt, dass die intrinsische Motivation für die Kommunikation/Umsetzung von Forschungsergebnissen fehle. Wissenschaft, die nicht kommuniziert wird ist meiner Meinung nach offensichtlich überflüssig.

    Ganz im Gegenteil denke ich, dass die Kommunikation von Forschungsergebnissen genau wegen den Journalen (i.e. die extrinsische Motivation durch “den Markt”) pathologisch ist. Mit deren Bezahlschranken beschneiden diese die Verbreitung von Forschungsergebnissen erheblich.

    Neben den Bezahlschranken sind die karrieretechnischen Netzwerkeffekte dieser journale auch dafür verantwortlich, dass das ganze Publikationssystem so ineffizient und antidigital ist. Das ganze Publikationssystem könnte viel dynamischer und effizienter sein, aber die Pfadabhängigkeit “des Marktes” macht eine digitale Neustrukturierung unmöglich.

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