WR1137 30 Jahre Einheit

 

Am 3. Oktober 1990 vereinigen sich die beiden Deutschen Staaten zur heutigen Bundesrepublik. Matthias von Hellfeld erzählt.

Manche sprechen auch von einer Übernahme (Podcast).

Die passende Ausgabe “Eine Stunde History” läuft am 28. September 2020 auf DLFnova.

14 Gedanken zu „WR1137 30 Jahre Einheit

  1. David

    Vielleicht sollten wir trotzdem langsam eine Verfassung ausarbeiten und ausdiskutieren… Und zum 40. Jahrestag der [s]DDR[/s]deutschen Einheit dann in Kraft treten lassen….

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    1. der Ralf

      Mich würde dann folgendes interessieren:
      Welche inhaltlichen Änderungen müssten den im Vergleich zum Grundgesetz für die neue Verfassung ausgearbeitet und diskutiert werden? Also welche wesentlichen Änderungen im Vergleich zum Grundgesetz soll es den geben, damit sich der Aufwand überhaupt lohnt?

    2. Eule

      @ David:

      Wir haben eine Verfassung. Sie heißt “Grundgesetz”. (Das Dokument könnte auch “Kartoffelbrei” heißen, und es wäre trotzdem eine Verfassung.) Und sie wird immer wieder vom Volk bestätigt, zum Beispiel wenn wie 2017 etwa 76% der Wahlberechtigten zur Bundestagswahl gehen.

    3. Norbert

      @Eule
      Dass ich meine Rechte in dem mir gesetzten Rahmen ausübe bedeutet nicht, dass ich mit dem Rahmen einverstanden bin.
      Bei den letzten Vorwendewahlen haben selbst nach Zählungen der Bürgerrechtler ca 80% der Wahlberechtigten, Deiner Argumentation folgend, für die DDR-Verfassung gestimmt (ca 60% für und 20% gegen die Kandidaten, 20% Nichtwähler). Und was für lustige Sachen da so drin standen, hat Matthias ja vorgelesen. Dass man durch Teilnahme an Wahlen seine Zustimmung zur geltenden Verfassung ausdrückt ist Schwachsinn. Man drückt damit bestenfalls aus dass man bereit ist, sich an die gerade geltenden Regeln zu halten.

    4. der Ralf

      @Norbert
      Zur letzten Wahl der Volkskammer sind alle Parteien und Bündnisse mit einer klaren Aussage zur Frage der Wiedervereinigung angetreten. Die große Mehrheit stimmte für eine, wie auch immer durchgeführte, Auflösung der DDR und somit gegen die gültige Verfassung. Die Verfassung wurde also mit demokratischen Mitteln geändert bzw. “abgeschafft”. Bei jeder (freien, geheimen, gleichen usw.) Wahl wird über die gültige Verfassung mit abgestimmt. Solange mehrheitlich Parteien gewählt werden die die Verfassung (Grundgesetz etc.) beibehalten wollen ist die Verfassung bei jeder Wahl aufs neue bestätigt.

    5. Norbert

      Dass die selben Leute, die im Frühjahr 1989 (immer noch obiger Argumentation folgend) mit 60-80% für die DDR-Verfassung gestimmt haben, rund 10 Monate später zu ähnlichen Teilen für die Wiedervereinigung stimmten, bestreite ich nicht. Allerdings war im März 1990 die allgemeine Erwartungshaltung, dass aus der Wiedervereinigung selbstverständlich auch eine neue Verfassung folgen würde. Das stand so im Grundgesetz, das ist jahrelang von den Medien so erzählt worden. Dass sich die Politik dann mit dem Kunstgriff “Beitritt” erfolgreich um das Thema drücken könnte, hatte im März 90 noch keiner auf dem Schirm. Die bestehende DDR-Verfassung war zu dieser Zeit auch kein echtes Thema mehr, spätestens mit dem 4.11.89 war klar, dass die sich erledigt hatte.

      Zu Deinem “Solange mehrheitlich Parteien gewählt werden die die Verfassung (Grundgesetz etc.) beibehalten wollen ist die Verfassung bei jeder Wahl aufs neue bestätigt.”: Für Parteien zu stimmen, deren Gesetze regelmäßig und vorhersehbar von diversen Gerichten kassiert werden (BVerfG, EuGH, etc.), kommt mir nicht gerade wie für die Verfassung zu stimmen vor. Und nur so aus Neugierde: Ändert sich Deine Argumentation eigentlich für Länder, die eine Wahlpflicht mit Strafandrohung haben? Wie z.B. Belgien oder Australien?

    6. Eule

      @ Norbert:

      “Allerdings war im März 1990 die allgemeine Erwartungshaltung, dass aus der Wiedervereinigung selbstverständlich auch eine neue Verfassung folgen würde.”

      Nee. Es gab eine Umfrage des Wickert-Instituts aus dem Februar 1990, laut der sich 90% der Westdeutschen und 84% der Ostdeutschen für die Übernahme des Grundgesetzes als gesamtdeutsche Verfassung aussprachen.

      Die “Allianz für Deutschland” (DA, DSU, CDU), die deutliche Wahlsiegerin der Volkskammerwahl im März (48%), schrieb in ihrem “Sofortprogramm”: “Wir streben die Einheit Deutschlands auf der Grundlage des Grundgesetzes an. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland hat sich in den 40 Jahren seines Bestehens bewährt. Es ist weltweit als vorbildliche demokratische Verfassung anerkannt und war die Grundlage der friedlichsten und freiheitlichsten politischen Ordnung, die es je auf deutschem Boden gab.” Zugleich war es die weit verbreitete Sicht, dass eine rasche Vereinigung nur über einen Beitritt nach Artikel 23 erfolgen könnte, nicht über den langwierigen Weg der Erarbeitung einer neuen Verfassung auf der Basis von Artikel 146. Die neue Volkskammer lehnte im April die Ausarbeitung einer neuen Verfassung ab. Bei der Bundestagswahl im Dezember (Wahlbeteiligung 78%) wurden diejenigen Parteien bestätigt bzw. mehrheitlich gewählt, die diesen Kurs gefahren waren.

    7. Norbert

      Da würden mich die gestellten Fragen interessieren. Wenn die auf „Sind Sie für eine schnelle oder eine langsame Wiedervereinigung“ hinausliefen, haben sich die meisten Befragten natürlich für die schnelle Wiedervereinigung ausgesprochen – egal wie die Frage weiterging. Und wer weiß denn schon, was sich genau hinter den einzelnen Paragrafen einer ausländischen Verfassung verbirgt.

      Ich muss da an eine Umfrage aus den 90igern denken, bei der die Ostdeutschen gefragt wurden, ob sie vom Verlauf der Wiedervereinigung enttäuscht seien und jemand kommentierte: „Eigentlich müsste ich jetzt Nein sagen. Ich habe ja nichts anderes erwartet.“

    8. der Ralf

      @Norbert:
      Ich verstehe ehrlich gesagt deine Frage nicht:

      “Für Parteien zu stimmen, deren Gesetze regelmäßig und vorhersehbar von diversen Gerichten kassiert werden (BVerfG, EuGH, etc.), kommt mir nicht gerade wie für die Verfassung zu stimmen vor. Und nur so aus Neugierde: Ändert sich Deine Argumentation eigentlich für Länder, die eine Wahlpflicht mit Strafandrohung haben? Wie z.B. Belgien oder Australien?”

      Wer für Parteien stimmt die die Verfassung ganz oder teilweise ändern oder abschaffen will und auch dementsprechend schon in der Vergangenheit so agiert hat, unterstützt durch seine Stimme eine Partei die die Verfassung ganz oder teilweise ändern oder abschaffen will. Das tut man ja (idealerweise) weil man der Meinung ist das die Verfassung geändert bzw. abgeschafft werden soll. Das ist also richtig, in dem Fall stimmt man nicht für die Verfassung sondern ganz oder teilweise gegen die Verfassung.
      Wer die Verfassung an sich für so in Ordnung hält, wählt auch dementsprechend nicht so eine Partei sondern eine, die zur Verfassung steht und erklärt innerhalb dieser regieren möchte.

      Was eine Wahlpflicht daran ändern soll verstehe ich nicht.
      Ich kenne weder die Verfassung von Belgien noch von Australien. Angenommen die Wahlpflicht steht in der Verfassung und eine Mehrheit der Bevölkerung bzw. der Wahlberechtigten möchte diese Wahlpflicht loswerden -> eine Partei/Bewegung/Bündnis die sich das vornimmt würde, vermutlich, gewählt werden und somit den Auftrag bekommen eben diesen Punkt in der Verfassung zu ändern. Würde sich keine Mehrheit finden bliebe alles wie es war.

      Die eigentliche Frage lautet doch eher: Kann sich eine Partei/Bewegung/Bündnis einfach gründen und erfolgreich an einer Wahl teilnehmen? Abhängig vom Wahlsystem haben kleine Parteien mehr oder weniger Chancen auf Vertreter im Parlament. Bei uns in Deutschland gibt es “nur” die 5% Hürde, in anderen Länder (z.b. USA) gibt es aufgrund des Wahlsystems nur die zwei große Parteien. Eine neue, dritte, Partei müsste also nicht die 5% Hürde sondern die 50%* Hürde nehmen.

      * Vereinfacht ausgedrückt, Mehrheitswahlrecht und so. Ohne jetzt näher auf das Wahlsystem USA einzugehen.

    9. der Ralf

      @Norbert:
      ah, ich glaub ich weiß jetzt wo unser Missverständnis ist:
      Wahlbeteiligung = Zustimmung zur Verfassung
      vs
      Programm der gewählten Parteien = Zustimmung/Ablehnung zur Verfassung.

      Solange es keine Wahlpflicht gibt, gibt es eine Gruppe der Nichtwähler. Wie die zur Verfassung stehen, welche Präferenzen sie haben und den Grund warum sie nicht wählen wissen wir nicht. Es gibt Spekulationen, Umfragen etc. aber letztlich sind die Gründe (wie auch bei den Wählern) individuell.

      Bei der Gruppe der Wähler ist es etwas einfacher, den das Ergebnis liegt nach Auszählung vor. Grob würde ich alle, die eine gültige Stimme an eine verfassungserhaltende Partei abgegeben haben als Zustimmung zur Verfassung zählen.
      Das dürfte im Normalfall ungefähr der Wahlbeteiligung entsprechen.

      Im Gegensatz zu den Nichtwählern könnte man die ungültigen Stimmen evtl. auswerten und so zumindest ein Stimmungsbild erhalten. “Nur” Ablehnung der zur Wahl stehenden Partei? Handschriftlicher Eintrag (historische Person, nicht zugelassene Partei, Fantasienamen o.ä.) oder “handwerklicher” Fehler z.b. ein Kreuz zu viel oder Streichungen etc.

      Eine Wahlpflicht beseitigt lediglich die Gruppe der Nichtwähler. Diese müssen jetzt eine der Parteien wählen oder geben eine ungültige Stimme ab. Anzahl der wählbaren Parteien wieder abhängig vom Wahlsystem.
      Solange es keine Partei bzw. Mehrheit gibt welche die Wahlpflicht abschaffen will (Verfassungsänderung) gibt es nur die Wahl zwischen einer der aufgestellten Parteien oder einer ungültige Stimme.

      Eine Frage der Prioritäten: Wenn, wie in diesem Fall die Wahlpflicht, es zwar “ärgerlich” ist aber andere Themen evtl. wichtiger, dann wählt man eben die Partei von der man sich, bis auf das eine Thema, am meisten vertreten fühlt. Gilt so natürlich auch ohne Wahlpflicht.

      Bei einer Wahlpflicht müsste man sich also die gewählten Parteien etwas genauer anschauen inwiefern diese verfassungserhaltend oder verfassungsändern sind. Vermutlich sind in dem Fall der Großteil der ungültigen Stimmen auch ein Zeichen der Ablehnung der Verfassung bzw. des politischen Systems an sich.

      Kurz:
      Bei einer Wahlpflicht gilt nicht: Wahlbeteiligung = Zustimmung zur Verfassung.
      Ohne Wahlpflicht gilt im Normalfall*: Wahlbeteiligung = Zustimmung zur Verfassung

      * abhängig von der Anzahl der gültigen Stimmen für verfassungsändernde Parteien

    10. Norbert

      Wir reden hier anneinander vorbei. Mich hat Eules Aussage getriggert, dass die reine Teilnahme an einer Wahl die geltende Verfassung bestätigt. Daß es mich getriggert hat lag wahrscheinlich auch an einem Artikel in der Welt vor ein paar Tagen, der mir ernsthaft erklärte, daß ich durch Teilnahme an der Kommunalwahl im Mai 1990 gegen den Verfassungsentwurf des Runden Tisches vom April gestimmt hätte (auf den tommy schon weiter unten hingewiesen hat).
      Ich stimme über eine Verfassung ab, wenn mir eine Verfassung zur Abstimmung vorgelegt wird. Bei Wahlen bewerte ich Wahlversprechen und vergangene Performance. Das Eine hat mit dem Anderen relativ wenig zu tun, es sei denn mir wird eine neue/geänderte Verfassung versprochen (und wenn die Regierung regelmäßig Gesetze macht, die dann wegen fehlender Verfassungskonformität wieder kassiert werden, ist das eben schlechte Performance der beteiligten Parteien).

  2. tommy

    Den genauen Text des damaligen Verfassungsentwurfs von Bü90/Grüne (u.a.) habe ich leider nicht finden können, aber ein paar Hintergrundinfos:
    https://www.das-parlament.de/2019/29_30/themenausgaben/651212-651212

    “Unter großem Zeitdruck setzte die Gruppe die Arbeit an einem Gesamtentwurf fort. Er orientierte sich am bundesdeutschen Grundgesetz, ging aber in einzelnen Bereichen deutlich darüber hinaus. Das galt vor allem für den Teil über die Bürger- und Menschenrechte, für plebiszitäre Elemente und für die sozialen Grundrechte. So wurde etwa jedem Bürger “das Recht auf angemessenen Wohnraum” sowie “ein Recht auf Arbeit und Arbeitsförderung” zuerkannt. An anderer Stelle heißt es: “Die Bildung von Kartellen und marktbeherrschenden Unternehmen ist unzulässig.” Nicht zuletzt ging es den Autoren auch darum, die Erfahrungen mit der Diktatur und ihrer Überwindung einzubringen.”

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  3. Auge

    Den Teil der Argumentation von Herrn von Hellfeld gegen die Erarbeitung einer gemeinsamen Verfassung, der mit dem Zitat aus der Verfassung der DDR von 1974 einhergeht (Oh, wie hätte das wohl zusammen finden sollen?), finde ich geradezu und an den Haaren herbeigezogen; quasi hanebüchen. Wer geht den ernsthaft davon aus, dass sich eine gemeinsame Komission, so es sie gegeben hätte, an gerade diesem Abschnitt gerade dieser Verfassung (die DDR hatte im Verlauf ihres Bestehens derer drei [1]) orientieren würde? Zudem wäre es durchaus denkbar gewesen, die staatliche Vereinigung zügig zu vollziehen und sich dann ohne den damit einhergehenden Zeitdruck der Ausarbeitung einer neuen Verfassung zu widmen. Aber das wiederum war nicht erwünscht.

    Was die obige Diskussion um die Bedeutung von Wahlen über die Wahl hinaus angeht, gerade in Bezug auf die zur Volkskammerwahl 1990 vorgebrachten Argumente. Es waren die Parteien der Allianz für Deutschland (AfD), die sich für den Beitritt nach Artikel 23 aussprachen und es war die SPD, die im Wahlkampf die Vereinigung nach Artikel 146 propagierte. Wer gewonnen hat, ist bekannt, aber es sollte auch nicht vergessen werden, dass jene Parteien, die ein Pendant in der Bundesrepublik hatten (die oben (auch implizit) genannten gehören dazu), von dort unterstützt und gesteuert wurden. Und ob die Menschen die AfD (also die erste, damalige) gerade wegen des Anschlusses nach Artikel 23 gewählt haben, wage ich zu bezweifeln. Da standen die (davon natürlich nicht unabhängigen Wahlversprechen) von Westgeld und Wohlstand sehr viel weiter im Vordergrund.

    [1]: https://de.wikipedia.org/wiki/Verfassung_der_Deutschen_Demokratischen_Republik

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