WR834 Target-Salden

 

In der letzten Zeit geistert wieder häufiger das Thema “Target-Salden” durch die Medien. Gerne verbunden mit irgendwelchen ökonomischen Untergangsprophezeihungen. Und weil ich nicht die leiseste Ahnung hatte, was das überhaupt ist, habe ich den Tweet einer Ökonomin zum Anlass genommen, mal nachzufragen, was Target 2 überhaupt ist und ob davon tatsächlich eine Gefahr ausgeht.

Ihr findet Hannah in ihrem Blog, auf Twitter und bei den Mikroökonomen und wir reden über Target 2, die Bundesbank, die EZB, Geldschöpfung, die Mindestreserve, Zinsen, die Finanzkrise, Kapitalflucht, das Anleihenkaufprogramm der EZB, Offenmarktgeschäfte und natürlich über die Zukunft.

16 Gedanken zu „WR834 Target-Salden

  1. Jochen

    Auch als überzeugte Verfechter der Europäischen Union und des Euros stolpere ich in Artikeln über den Target-Mechanismus und auch in diesem Podcast immer wieder über die Stelle, dass wir beim Austritt eines Landes aus der Eurozone unter Umständen doch auf einer Billion Euro Schulden sitzenbleiben.

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    1. Titus von Unhold

      Da ist wieder das Leck in der Kenntnis volkswirtschaftlicher Zusammenhänge. Erst einmal muss man anerkennen dass Staaten anders rechnen müssen als die schwäbische Hausfrau. Im Kern weil die Staaten im Gegensatz zur Hausfrau durch die Zentralbanken nach belieben Geld schöpfen oder vernichten können. Wer die Geldmenge verändern kann, kann dies auch mit Schulden. Es ist nicht vorgesehen dass Staaten Kredite jemals zurückzahlen! Die Schuldenbremse und die Erwartung dass Forderungen beglichen werden, sind beide dumm. Und beide stehen auch in keinem volkswirtschaftlichen Lehrbuch. Prof. Flassbeck ist wohl einer der bekanntesten Analysten dieses Problems: https://www.republik.ch/2018/04/03/die-frage-ist-ob-sich-europa-retten-laesst

    2. Mithrandir

      Die Aussage “Es ist nicht vorgesehen dass Staaten Kredite jemals zurückzahlen!” habe ich jetzt schon öfter gehört.
      Verstehe das aber nicht.
      Wenn ich deutsche Staatsanleihen kaufe, gebe ich dem Staat doch einen Kredit und hoffe doch, dass ich das Geld nach Ende der Laufzeit wieder zurückbekomme (evtl. mit Zinsen).
      Welche Kredite sind es, die der Staat nicht zurückzahlt?
      Danke
      Gruß
      M

    3. Titus von Unhold

      Der Staat zahlt, mit wenigen Ausnahmen, gar keinen Kredit zurück. Weder der Bund, noch die Länder oder die Kommunen. In der Praxis werden täglich die benötigten Liquiditätskredite aufgenommen. Die Kämmerer schauen welche Rechnungen, Löhne und Kredite sie bezahlen wollen, rechnen die Summen zusammen und fragen bei den Banken an zu welchem Zinssatz und mit welcher Laufzeit das Geld bereit gestellt werden kann. Das geht tatsächlich Tag für Tag so. Und zwar so lange wie die Banken der Meinung sind dass der Staat in der Lage ist das Geld zurückzuzahlen. Ebenso wie die schwäbische Hausfrau glaubt dass sie die Summe die auf ihrem Kontoauszug steht jederzeit in ein gesetzliches Zahlungsmittel umtauschen kann und auch etwas dafür bekommt. Diese Forderungen ist aber nur Makulatur solange die Staaten Instrumente haben um ihre Schulden geldpolitisch ohne Rückzahlung zu nullen. Italien hat das früher alle paar Jahre mit der Lira durch Abwertung gemacht. Dadurch haben sich die Wechselkurse geändert und Italien konnte Kredite z. B. durch den Rückgriff auf Devisen bezahlen.

    4. Der Freibeuter

      @Mithrandir.
      Durch das Emittieren von neuen Anleihen werden die alten fälligen Anleihen abgelöst. Es findet eine Art rollieren der Schulden von alter fälliger Anleihen zu Neuemissionen statt. Beim momentanen Zinsniveau ist das für den Staat sehr lukrativ, da alte Anleihen noch höher verzinst waren.

      Das ist so ähnlich als wenn du privat einen Hypothek mit Null Prozent Tilgung laufen hast. Nach Ablauf von 5,10 oder mehr Jahren beschaffst du dir eine Anschlussfinanzierung über den nominal gleichen Kreditbetrag (200k€ für eine ETW z.B.).
      Die Schulden werden dann dadurch geringer, dass sie mit der Zeit weg-inflationiert werden. Bei einer selbstgenutzten Immobilie zahlst du dann nur die Zinsen für die 200k€ und kannst im Gegenzug in der ETW wohnen.
      Ich weiß von Leuten aus meiner Firma, die solche Konstrukte laufen haben (Rhein-Main Gebiet). Da wird einfach darauf spekuliert nach +10 Jahren die ETW mit Gewinn wieder losschlagen zu können.

      Privat spielen die Banken da allerdings nur bis zu einem gewissen Beleihwert der Immobilie mit. Als Staat hat man es da bei einem entsprechend guten Rating (Deutschland hat es, Venezuela trotz Bodenschätzen nicht) viel einfacher…

    5. Der Freibeuter

      ” Diese Forderungen ist aber nur Makulatur solange die Staaten Instrumente haben um ihre Schulden geldpolitisch ohne Rückzahlung zu nullen.”

      Staaten, in denen die Zentralbank so wenig unabhängig ist, dass sie nach belieben solche “Instrumente” (Gelddruckerei) nutzen können haben normalerweise eine Weichwährung. Von denen kauft man sinnvollerweise nur Staatsanleihen, die in harter Währung (meist US-Dollar) begeben werden. In lokaler Währung müssen meist absurd hohe Zinsen bezahlt werden, um Anlegern schmackhaft zu machen das Risiko der Rückzahlung in inflationierter lokaler Währung einzugehen.
      Was passiert, wenn die Politik einen starken Durchgriff auf die Notenbank haben kann man gerade in der Türkei beobachten. Da hat heute die Zentralbank heute beschlossen, trotz deutlicher Inflation den Leitzins nicht zu erhöhen. Resultat: Die türkische Lira hat heute (24.7.2018) gute drei Prozent in Bezug auf den Euro verloren. Aktuell erhält man für einen Euro 5,71 türkische Lira – zu Beginn des Jahres waren es nur 4,5 türkische Lira! Schaut euch mal ein Fünfjahreschart des Wechselkurses Euro / Türkische Lira an – das spricht Bände.
      Erdogan kann derzeit (politisch motiviert) keine noch höheren Zinsen gebrauchen, da wird er entsprechenden Druck auf die Zentralbänker ausüben. Als (zukünftiger?) Finanzminister fungiert auch schon sein Schwiegersohn.

      Will sagen: die Unabhängigkeit einer Zentralbank ist ein hohes Gut. Wenn sie das tut was politisch opportun ist, dann geht’s meist bergab.
      In den meisten Ländern der Erde sind die Zentralbanken nicht wirklich unabhängig. Das ist der Grund, weshalb man auch in den hintersten Ecken des Erdballs die Leute auf der Straße den (sich ständig ändernden) Wechselkurs ihrer Währung zum US-Dollar wie aus der Pistole geschossen nennen können.

      Neben der (relativen) Unabhängigkeit der Zentralbank (die gibt es ja auch in der Schweiz, Japan etc..) ist die schiere Wirtschaftskraft (+das militärische Potential der USA) die hinter dem US-Dollar steht der Grund dafür, das der US-Dollar die Weltleitwährung ist und auch erstmal bleiben wird.

    6. Titus von Unhold

      Die Erhöhung der Geldmenge ist natürlich nur ein Instrument von vielen und deren Sinn und Ausgang abhängig von der Bewertung und gleichzeitig ein Teil der Bewertung. Das ist auch ein Teil des Problems im Euroraum.

      Die Südländer haben Teils über ihren Verhältnissen gelebt und billiges Geld bekommen, während Deutschland unter seinen Verhältnissen gelebt hat. Deutschland ist das einzige Land in dem die Reallöhne seit dem Beginn der Krise 2008 gesunken sind. Würde sich die Bewertung des Euro an Deutschland orientieren, hätten wir eine enorme Aufwertung und die Exporte würden wieder auf ein Normalmaß sinken. Allerdings mit enormen Arbeitsplatzverlusten. Danach sähen Bayern und Baden-Würtemberg aus wie Jena 1993 und wären vermutlich zu 70 Prozent in der Hand chinesischer Staatskonzerne.

      Bei der Leitwährung USD muss angemerkt werden dass China die USA aufgrund ihrer massiven Devisenreserven in der Hand haben. Würden die Chinesen sämtliche USD die sie haben gleichzeitig auf dem Markt werfen könnte der Wert des Dollar um bis zu 30 Prozent sinken. Real sind vermutlich nur 10 bis 15, aber das reicht um 2008 mindestens zu wiederholen.

      Viele Probleme die wir heute haben – Schattenbanken, Blackrock und Reallohnverluste – könnten vermutlich mit einer Rückkehr zu Bretton-Woods (ohne Konstruktionsmängel!) gelöst werden. Oder durch die Rückkehr von gedeckten Währungen oder dem Versuch eines Vollgeldsystems (siehe gescheiterte Initiative in der Schweiz).

  2. Sarah

    Sehr interessante Folge und so schön unaufgeregt.
    Da ich selbst Wirtschaft studiert habe, kannte ich einige Mechanismen. Allerdings waren leider viele Inhalte in meinem Studium ohne Bezug zu konkreten Regelungen wie Target2. Das fanden die Professoren immer nebensächlich. Das könne man doch bei Interesse schnell selbst recherchieren. #Elfenbeinturm
    Ich werde auf jeden Fall in den Mikroökonomen-Podcast reinhören. Da kann ich sicherlich noch einige Wissenslücken schließen.

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  3. hilti

    Ich habe nicht verstanden wie sich das Anleihekaufprogramm der EZB auf die Target-Salden auswirkt. Klar, die Wertpapiere kommen nach Deutschland mit den entsprechenden Auswirkungen. Aber in die Gegenrichtung fließt doch das Geld für die Papiere nach beispielsweise Italien. Das gleicht sich doch sofort zu plusminus Null aus. Wo ist da mein Denkfehler?

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    1. Hannah 700Sachen

      Hallo Hilti,
      Das Anleihekaufprogramm funktioniert nicht als direkter Kredit an die Staaten, also die EZB kauft keine neu emittierten italienischen Staatsanleihen. Sie nimmt welche aus dem Markt, die bereits im Umlauf sind, einerseits um das Risiko zu mindern, dass diese plötzlich alle verkauft werden und dadurch eine Panik ausgelöst würde, andererseits um Liquidität in den Markt zu geben. Wie alles im Eurosystem wird das föderal durchgeführt. Das heißt die Banca d‘Italia kauft italienische Staatsanleihen, die spanische Nationalbank spanische, usw. Dafurch schafft die italienische Zentralbank Geld. Entscheidend für das Target-Problem ist, von wem sie die Papiere kauft. Und hier kommt ins Spiel, dass Frankfurt ein Haupt-Finanzplatz ist, sehr viele Internationale Investmentfirmen haben in Frankfurt Konten oder europäische Niederlassungen und dass sehr viele deutsche Geschäftsbanken italienische Üapiere halten (weswegen Herr Schäuble auch sehr für das Programm ist). Dadurch werden viele der Transaktionen im Anleihekaufprogramm ein Konto involvieren, das in Deutschland geführt wird. Dadurch wird der Anleihekaufprogramm der Banca d‘Italia zu einer Target-Transaktion.
      Gut erklärt und graphisch belegt wird das in diesem Blogpost: https://blogs.faz.net/fazit/2018/07/03/das-anleihekaufprogramm-der-ezb-treibt-den-target-2-saldo-10130/
      Ich hoffe, das hilft weiter.
      Hannah

  4. Robert

    Eine Frage bleibt bei mir stehen. Nach dem hören des Podcasts habe ich mir gemerkt, dass den Target2 Salden ein Wert entgegensteht (z.B. eine Maschine die gekauft und geliefert wurde). Dies sei gut. Hier tut sich bei mir die Frage der Abschreibung auf. Die Target2 Salden bleiben stehen, auch wenn die Maschine längst verrostet ist. Ist es dann nicht doch ein Problem ?

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    1. egghat

      Jein. Das Problem hat der zugrundeliegende Kredit bei der Bank in (zB) Italien ja auch. Deshalb tilgt man den Kredit ja auch. Damit ist dann auch die Target2 Buchung wieder weg.

  5. Andreas

    Hannah: “Die EZB kann soviel Geld drucken wie sie will” – Sobald sie das versucht, ist der Euro Geschichte, wie alle anderen Währungen, bei denen das versucht wurde. Geld, das unbegrenzt zur Verfügung steht, hat keinen Wert, das will niemand haben!
    Hannah sinngemäß: “Die EZB-Anteile der Nationalbanken verschieben sich entsprechend der Targetsalden”. Verstehe ich das richtig? Der Bundesbankanteil und damit auch die Haftung vergrößert sich wegen des Targetsaldos? Ich hoffe, das dem nicht so ist.
    Der Euro scheint ist als Einbahnstraße konstruiert worden.
    Der deutsche Targetsaldo entstehe u.a. durch die Außenhandelsüberschüsse. Seit 1950 hatte Dt. fast immer Überschüsse. Woher kommt denn dann die Hoffnung (da hilft auch der indirekte Ausgleich über Drittländer nix), dass die Salden sich mal ausgleichen würden?
    Zum eigentlichem Konflikt der Währungsunion: Entweder es gibt Ausgleichsmechanismen innerhalb der Eurozone (womit die deutsche arbeitende Bevölkerung doppelt gekniffen wäre, erst Wohlstandsverlust durch Lohnzurückhaltung und dann noch zusätzliche Transfers in schwächere Länder leisten, deswegen wird das nicht kommen) oder der Euro ist nur eine vorübergehende Erscheinung, wie alle länderübergreifenden Währungsunionen, die es bisher gegeben hat.

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  6. egghat

    Das gedruckte Geld muss nicht in Umlauf kommen. Oder die EZB kann ein mögliches negatives Eigenkapital einfach in der Bilanz stehen lassen. Es gibt niemanden, der ihr das verbieten kann. Und wenn jemand einen Insolvenzantrag stellen sollte, druckt sie das Geld halt. Es muss wie gesagt nicht in Umlauf kommen und löst dann auch keine Inflation aus.

    Die dauerhaft riesigen Leistungsbilanzüberschüsse von Deutschland sind natürlich ein Problem, aber die Probleme sehen wir in den Target Bilanzen nur gespiegelt. Der eigentliche Kredit wurde ja schon vorher vergeben und wenn ein Land/ eine Volkswirtschaft das Geld nicht hat, muss der Kredit halt aus dem Ausland kommen. Da ist das Risiko also sowieso schon da.
    Wenn man sich den Leistungsbilanzüberschuss von Deutschland anschaut, sieht man schnell, dass von den pimaldaumen 250 Mrd. Euro Leistungsbilanzüberschuss nur etwa 50 Mrd. aus dem Euroraum kommen. Weitere 50 Mrd. kommen aus dem Rest Europas (v.a. Großbritannien) und der Rest aus dem Ausland. Wenn du aber die Währungsunion verlässt, hast du den Wechselkurs als Ausgleichsmechanismus. Der mit dem Überschuss bekommt eine stärkere Währung, wird weniger wettbewerbsfähig, der Überschuss sinkt. Dass der Mechanismus gerade nicht wirkt (Spätfolge der Eurokrise) heißt nicht, dass der nie mehr wirkt. Vor ungefähr zwanzig Jahren war Deutschland der kranke Mann Europas und hatte ein Leistungsbilanzdefizit. Genug abgeschweift: Wichtig ist: Das Problem der Target 2 Salden ist im Vergleich zu den anderen Posten gering.

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  7. Erwin

    Ich habe kein Geld nach Belgien gebracht!! 😀
    Wir bringen unser Geld in die Schweiz oder Lichtenstein, das ist näher 😉

    verwirrende aber schöne Folge!

    Danke 🙂

    schöne Grüße aus dem Allgäu,

    Erwin

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