WR617 Martin Delius, Politiker

 

wrint_2014_zurperson_200Martin Delius ist 2011 mit der Piratenpartei ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen, war dort – unter anderem – Vorsitzender des BER-Untersuchungsausschusses, hat die Piraten mittlerweile verlassen und ist Mitglied der LINKEn geworden.

18 Gedanken zu „WR617 Martin Delius, Politiker

  1. Tarifkenner

    Ein großartiges, sehr erhellendes Gespräch. Ich ziehe meinen Hut vor Holgers Gesprächs- und Fragetechnik!

    Ein bisschen Faktencheckerei zu dem, was Martin Delius so behauptet.
    Erstens: Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf sei eine der Hochburgen der AfD bei der letzten Abgeordnetenhauswahl gewesen. Die AfD errang in Steglitz-Zehendorf 11 Prozent der Stimmen – berlinweit waren es 14,2 Prozent. Nur in drei Bezirken errang die AfD einen geringeren Stimmenanteil als in Steglitz-Zehlendorf, dagegen in acht Bezirken einen größeren. Das beste Ergebnis errang die AfD in Marzahn-Hellersdorf also dort, wo auch die Linke ihr bestes Ergebnis erzielte.

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    1. Norbert

      Ich glaube, hier waren Wahlbezirke gemeint, nicht Stadtbezirke. Und da gab es in Steglitz schon ein paar Spitzen jenseits der 20%. Nicht so krass wie in Spandau oder Charlottenburg, wo die Spitzen knapp unter 30% lagen, vor allem rings um die Siemensstadt. Aber da wollte Martin Delius wohl auf das unterschiedliche soziale Milieu der AfD-Wähler hinaus (ohne mir die Stelle ein zweites Mal angehöhrt zu haben)
      https://www.wahlen-berlin.de/wahlen/BE2016/instantatlas/Wahlatlas_Strukturdaten/atlas.html

    2. Tarifkenner

      @Norbert
      Also gesagt hat Martin Delius: “Eine der AfD-Hochburgen in Berlin ist Steglitz-Zehlendorf” (0h 24′ 23″). Das “ist” spricht schon dafür, dass ganz Steglitz-Zehlendorf gemeint ist. Wenn er Wahlbezirke gemeint hätte, hätte er formuliert: “Einige der AfD-Hochburgen liegen in Steglitz-Zehlendorf.”

      Aber selbst wenn man auf einzelne Wahlbezirke abstellt, wird die Aussage nicht richtiger. Der Steglitz-Zehlendorfer Wahlbezirk mit dem höchsten AfD-Ergebnis ist Steglitz-Zehlendorf 517. Dort entfielen 23,6 Prozent der Stimmen auf die AfD. Das ist exakt der Wert, den der ganze STADTbezirk Marzahn-Hellersdorf im Schnitt erzielt hat. Unter den Wahlbezirken von ganz Berlin ist 23,6 Prozent AfD-Wähler kein herausragender Wert. Die Berliner Spitzenwerte liegen nicht nur “knapp unter 30 Prozent”, wie Norbert es für Spandau und Charlottenburg berichtet, sondern bei 37, 2 Prozent (Pankow 201) und 35,5 Prozent (Marzahn-Hellersdorf 103).

      Aber selbst wenn man Steglitz-Zehlendorf 517 mit seinen 23,6 Prozent AfD-Stimmen als “eine AfD-Hochburg” bezeichnen wollte, würde es nicht Martin Delius’ These belegen, dass gerade die Wohlhabenden oft AfD wählen. Denn Steglitz-Zehlendorf 517 liegt in Lankwitz, das ist INNERHALB VON STEGLITZ-ZEHLENDORF nun wirklich kein besonders edles Pflaster. Im Wahlbezirk Steglitz-Zehlendorf 517 liegt der Prozentsatz der SGB-II-Empfänger unter 65 Jahren 1,2 %p ÜBER dem BERLIN-Schnitt. Zum Vergleich: Im Wahlbezirk Steglitz-Zehlendorf 315, wo die AfD eines ihrer schwächsten Ergebnisse erzielte, liegt der Prozentsatz der SGB-II-Empfänger unter 65 Jahren 18,2 %p UNTER dem Berlin-Schnitt.

      Ja, es ist bitter für einen Linkenpolitiker, aber zumindest in Berlin ist die Tendenz der “Abgehängten”, AfD zu wählen, wirklich größer als bei der Klientel mit Seegrundstück und Yacht am Steg.

    3. holgi Beitragsautor

      Bitte vergesst nicht, dass das ein spontanes Gespräch war. Martin wusste nicht, was ich fragen würden, nichtmal, in welche Richtung das Gespräch laufen würde.

    4. Norbert

      Danke für’s Raussuchen. Da hat er wirklich Quatsch erzählt.
      Ostberlin hatte ich bei meiner Antwort ignoriert, weil die Aussage – wenn sie denn gestimmt hätte – ohnehin nur bei alleiniger Betrachtung der westberliner Ergebnisse sinnvoll gewesen wäre.

    5. Tristan A. Kellermann

      Und ich will gar nicht erst vom vermuteten Reichtum der Hochelbsachsen anfangen. Also Fakten checkerisch.

      Davon mal abgesehen, war es ein sehr erhellendes Interview. Großes Podcasting.

    6. Tarifkenner

      Lieber Holger, klar kann das passieren, dass man in einem Gespräch mit einem erinnerten Faktum argumentiert, das sich als Fehlerinnerung herausstellt. Ich empfinde es gerade als einen großen Vorteil dieses Formats, dass die Hörer das Gespräch mehrmals nachhören und sowas in den Kommentaren aufklären können.
      Es ehrt Dich sehr, dass Du Deinen Gesprächspartner in Schutz nimmst, weil er nicht gewusst habe, in welche Richtung Du fragst. Aber Deine Frage, die den Ausführungen von Martin Delius zur AfD-Hochburg Steglitz-Zehlendorf vorausging, war: “Aber wo könntet ihr (sc. M.D. und die AfD-Anhänger) Euch treffen?” Damit hast Du ihn nicht gerade verführt, etwas zur sozialen Struktur der AfD-Anhänger zu sagen. Ich hatte den Eindruck (der selbstverständlich falsch sein kann), dass M.D. seinen Brass auf die “Mainstream-Analyse” gewissermaßen innerlich ausformuliert in die Sendung mitgebracht hat. Und angesichts dessen, wie aufgeladen dieses Rechts-links-arm-reich-Thema für die Linke sein muss, finde ich es schon bemerkenswert, wie weit Realität und Wahrnehmung auseinanderfallen.

  2. Tarifkenner

    Faktencheckerei zum Zweiten: Die Großkapitalisten hätten die Schulpflicht eingeführt. Der erste Staat der Welt, der eine allgemeine Schulpflicht für Mädchen und Jungen einführte, war das Herzogtum Pfalz-Zweibrücken im Jahr 1592. Nun kann man natürlich lange darüber diskutieren, wann genau der Kapitalismus begann. Aber wenn man von “Großkapitalisten” spricht, denken doch die meisten an den Industriekapitalismus, der sich in Deutschland im 19. Jahrhundert durchsetzte – und bestimmt nicht in Pfalz-Zweibrücken seinen Ausgang nahm. Zu Beginn des 19. Jahrhundert war in den meisten protestantisch geprägten Gebieten, insbesondere in Preußen, die Schulpflicht schon längst eingeführt.

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    1. Norbert

      Pfalz-Zweibrücken ist da einer Forderung Martin Luthers nachgekommen (“An die Ratsherren aller Städte deutschen Landes, daß sie christliche Schulen aufrichten und halten sollen” von 1524), die bereits 1559 von Würtemberg implementiert worden war – wenn auch unter Ausschluß der Mädchen (entgegen Luthers Wünschen). Aber das waren religiöse Einrichtungen, die lediglich das Lesen der Bibel unterrichten sollten. Diese Art Schulpflicht gibt es bei den Juden bereits seit 2000 Jahren, und auch im Islam werden die entsprechenden Fähigkeiten seit jeher von den Gläubigen erwartet.

      Was Martin Delius meinte sind Schulen, die auch weltliches Wissen vermitteln, also Rechnen und ein bischen Naturwissenschaft. Diese Art von Schulen hat sich tatsächlich erst später herausgebildet, und sich entsprechend den Bedürfnissen bei Industrie und Militär weiterentwickelt. Die ersten Ansätze gab es um 1750, die eigentliche Entwicklung dürfte in Folge der Napleonischen Kriege eingesetzt haben. 1871 lag die Schulbesuchsquote in Preußen dann bei 92% (nur so als Beispiel). Und so gesehen passt die Aussage.

      Trivia: Die englische Wikipedia verweist auf den Aztekischen Dreibund (1428-1521) als ersten Staat mit allgemeiner Schulpflicht.

    2. Tarifkenner

      @Norbert: Sehr schöner Fund! Die Schulpflicht im Dreibund haben bestimmt die aztekischen Großkapitalisten eingeführt. 😉
      Die Schulpflicht in Preußen wurde 1717 von Friedrich Wilhelm I. eingeführt und 1763 von Friedrich II. effektiviert – also deutlich vor dem Auftreten des Kapitalismus in Deutschland. Ich will keineswegs bestreiten, dass seither die Lehrinhalte fortlaufend aktualisiert wurden und dabei während des 19. Jahrhunderts auch die sich ändernden ökonomischen Lebensverhältnisse berücksichtigt wurden. Aber reicht das wirklich, um die Schulpflicht als “Erfindung von Großkapitalisten” zu qualifizieren?
      ((Ich persönlich sehe die allgemeine Schulpflicht als eine große Errungenschaft der Neuzeit an. WENN dafür tatsächlich die Großkapitalisten verantwortlich wären, würde mir das die Großkapitalisten sympathischer machen, als es Martin Delius vermutlich recht wäre.))

    3. Norbert

      Die Schulpflicht von Friedrich Wilhelm I galt nur auf Landgütern, die dem König persönlich gehörten, wenn die Kinder den Eltern gerade nicht beim Erwerb des Lebensunterhalts helfen mussten, und nur wenn sie sich das Schulgeld leisten konnten. Eine staatliche Finanzierung gab es natürlich auch nicht. So richtig verprlichtend war sie also nicht.
      https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b0/1717_Verordnung_zur_Einf%C3%BChrung_der_Allgemeinen_Schulpflicht_in_Preu%C3%9Fen.jpeg

      Die Schulpflicht des Alten Fritz wäre einen Schulpflicht gewesen, wenn sie denn eine Pflicht zum Schulbesuch enthalten hätte.
      https://de.wikipedia.org/wiki/Generallandschulreglement

      Und nur mal nebenbei:
      Vieles, was im Rahmen der Hanse geschah, hatte kapitalistische Züge, und auch Handelsimperien wie das der Fugger oder der Welser lassen sich als kapitalistisch beschreiben. Und wenn man die Fugger und Welser als Kapitalisten begreift, dann waren sie in ihrer Zeit sicher Großkapitalisten.
      https://de.wikipedia.org/wiki/Fr%C3%BChkapitalismus

      Und schaut man sich die Geschichte einer Unternehmensform an, bei der die meisten an Kapitalismus denken dürften – die Aktiengesellschaft – dann geht diese bis ins 14. Jh zurück (mit Vorformen schon in römischer Zeit), wobei die erste AG im modernen Sinne 1602 gegründet wurde.
      https://de.wikipedia.org/wiki/Aktiengesellschaft#Geschichte

      Du siehst also, daß sich die ersten Großkapitalisten fast genauso beliebig weit in die Vergangeheit datieren lassen, wie die erste Einführung der Schulpflicht. Ich bin mir aber sicher, daß Martin Delius bei “Großkapitalisten” genauso wenig an die Fugger gedacht hat, wie er bei “Schulpflicht” an die religiös motivierten Einrichtungen der frühen Neuzeit dachte. Insofern bringt diese ganze Faktencheckerei nichts, so lange der zu prüfende Fakt durch nicht mehr als einen kurzen Satz definiert ist. Und damit zu argumentieren, woran “die Meisten” bei einem bestimmten Begriff denken bringt auch nichts – schließlich ist der ursprüngliche Satz ja auch in der Annahme formuliert worden, daß er für “die Meisten” verständlich ist.

  3. Alexander

    Ist es nicht irgendwie widersprüchlich zu behaupten, es gäbe Arme und Reiche (die nicht arbeiten müssen), wir würden aber in einer arbeitsteiligen Gesellschaft leben? Denn arbeiten müssen ja nur die Lohnabhängigen, zur Gesellschaft zählen aber wohl auch die Reichen (die ihre Arbeit nicht teilen müssen).

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  4. Tarifkenner

    Faktencheckerei zum Dritten: Martin Delius behauptet der deutsche Traum, wonach demjenigen, der mehr Bildung oder zumindest Bildungspapiere vorweisen kann, der soziale Aufstieg leichter gemacht werde, sei eine Lüge. Holgers Abschwächung “Nennen wir es eine Illusion” widerspricht Martin Delius ausdrücklich: Es ist schon eine bewusst vorgebrachte Lüge.

    Dazu dieser Blick in die Wirklichkeit:

    http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaft-in-zahlen/grafik-des-tages-bessere-bildung-besseres-gehalt-14541253.html

    Das ist jetzt zugegebenermaßen keine hundertprozentige Widerlegung. Angegeben sind Durchschnittswerte. Theoretisch denkbar wäre es, dass die Kinder von Unterpriveligierten in jeder der Gruppen immer dasselbe niedrige Gehalt beziehen. Aber das wäre schon ziemlich seltsam.

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  5. Norbert

    Das wiederlegt eigentlich garnichts. Ein höherer Bildungsabschluss bedeutet im Schnitt ein höheres Einkommen. Ja und? Wie ist die Schwankungsbreite? Welchen Einlfuss hat die soziale Herkunft darauf, wo man innerhalb dieser Schwankungsbreite landet? Und wie sieht es aus, wenn man die Einkommen mit den Einkommen der Elterngeneration vergleicht – inflationsbereinigt, und über die gesamte Lebenszeit betrachtet?

    Mir fallen da noch mehr Fragen ein. Aber ich stelle nur einen Artikel aus dem Stern dagegen. Das Wort “Lüge” wird dort nicht verwendet – man redet von einem “Märchen”. Es war einmal:
    http://www.stern.de/wirtschaft/job/bildungssystem-das-maerchen-von-der-chancengleichheit-3516914.html

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