WR432 Demenz: Nachgefragt beim Ergotherapeuten

 

wrint_nachgefragt_zumthema_200“Es gibt eine Hölle auf Erden”, sagt Björn. Er ist Ergotherapeut, arbeitet in Wohngemeinschaften für Demenzkranke und erzählt aus seinem Arbeits- und Pflegealltag,der sich selbstverständlich von Haskos (aus WR429) unterscheidet.

Ich lerne, dass die Hölle nicht so schlimm ist, wie ich sie mir vorstelle – vorausgesetzt, ich beachte einige Regeln.

4 Gedanken zu „WR432 Demenz: Nachgefragt beim Ergotherapeuten

  1. carina

    Hey Holgi & Mitlesende (vorsicht, lang),

    ich schreibe ebenfalls aus einer ex-beruflichen Perspektive (ich habe eine Weile in einer Pflegeeinrichtung gearbeitet, in der fast ausschließlich demenzerkrankte Menschen leben, allerdings ohne entsprechende Ausbildung, quasi als Assistentin für die Ergotherapeut_innen) und habe keine erkrankten Angehörigen.

    Ich möchte ergänzen, dass ich aus unserer Einrichtung ehrenamtliche Mitarbeiter kenne, die beispielsweise mit Bewohner_innen zum Einkaufen gegangen sind, Spaziergänge gemacht-, Spiele gespielt haben oder auch mal einfach zum Quatschen vorbeigekommen sind. Vielleicht wäre das auch ein Rahmen, in dem Du Holgi (oder auch Andere) mal in Kontakt kommen könnten. Bei uns ging damit keinerlei zeitliche Verpflichtung oder Ähnliches einher, wobei natürlich Verbindlichkeit bei getroffenen Verabredungen wichtig ist.

    Zum tatsächlichen Umgang mit Demenzerkrankten habe ich damals außerdem das Konzept der Validation kennen gelernt, das ich hilfreich und schlüssig fand. Im Kern ging es in unserer Arbeit darum, nicht zu versuchen, den Erkrankten an der Realität zu orientieren (“Frau Sowieso, Sie sind 86, Sie müssen ihre Kinder jetzt nicht abholen, die sind längst erwachsen.”), sondern die Situation, in der sich mein Gegenüber gerade befindet, wahr- und ernst zu nehmen und dann gemeinsam damit umzugehen.
    Meiner Erfahrung nach ist das oft für Angehörige sehr schwierig, zumal wenn sie falsch eingeordnet- oder vergessen werden. Dann um die Realität zu streiten, führt aber oft zu verwirrenden- und kaum auflösbaren Konflikten, weil die Wahrnehmung sich einfach zu stark unterscheidet. Insofern könnte ich mir vorstellen, dass die Grundidee auch für Angehörige hilfreich sein kann.
    Der Wikipedia-Link dazu klingt leider ein bisschen eso, ich poste ihn trotzdem mal, vielleicht ist ja für jemanden was dabei: http://de.wikipedia.org/wiki/Validation_%28Pflege%29

    Außerdem ist mir aufgefallen, dass oft die Angehörigen am Besten zurecht kamen, die sich zusammengetan haben, es gibt da diverse Angehörigengruppen, in denen sehr engagiert gearbeitet und geholfen wird.

    Was die Sorge angeht, mit der Situation nicht zurecht zu kommen: Ich kann das sehr gut verstehen. Vielleicht beruhigend: Die überwiegende Mehrheit der Angehörigen, die ich kennen gelernt habe, haben das wirklich großartig gemacht. Oftmals hatten sie die jeweiligen Bewohner_innen lange Zeit zu Hause begleitet und waren irgendwann an einer Grenze angelangt, an der das nicht mehr möglich war. Und alle hatten so ihren Rahmen der Beteiligung am Geschehen, manche haben ganz viel (auch kritisch) nachgefragt, waren sehr präsent und haben quasi mit uns zusammen gearbeitet, Andere haben besucht und hatten da den Anspruch, einfach eine möglichst gute gemeinsame Zeit zu verbringen (und ja, auch das ist drin, wenn auch nach anderen Maßstäben). Das kann – aus meiner Außenperspektive – auf viele Arten funktionieren und (den Umständen entsprechend) gut sein.
    Natürlich ist eine Demenz auch traurig, schmerzhaft und richtig große Scheiße, auch damit muss man irgendwie umgehen, ich möchte nur vermelden, dass da viele gangbare Wege gefunden werden, dass das irgendwie geht.

    Was die Frage angeht, ob man das eigentlich alles überhaupt kann: Die habe ich mir anfangs auch gestellt. Nun ist das natürlich etwas Anderes, wenn es um die Arbeit geht und ich kann einfach nicht abschätzen, was passiert, wenn zum Beispiel meine Mutter Alzheimer bekäme, aber ich habe durch den Job deutlich weniger Angst davor, deshalb:
    Ich hatte die schlimmsten Befürchtungen, bevor ich angefangen habe, mit Demenzerkrankten zu arbeiten, ich hatte absolut keinen Bezug zu alten Menschen, fand die Vorstellung von Pflege unglaublich gruselig und hätte mir nie zugetraut, damit umgehen zu können. Bin dann aber letztlich so da reingerutscht und es stellte sich raus, dass alles völlig anders ist, als ich es mir ausgemalt hatte. Die Arbeit hatte wirklich ganz viele überraschend tolle Seiten, ich hatte oft gemeinsam mit den Bewohner_innen Spaß oder Erfolg, gute Gespräche (wenn auch anders, als gewohnt) , Nähe und Sympathie und Gemeinsamkeiten. Letztlich analog zum Umgang mit Menschen generell. Und natürlich gab es auch Konflikte, Überforderung, schwer erträgliche Situationen oder Rahmenbedingungen, aber im Großen und Ganzen waren meine Befürchtungen der Realität nicht angemessen.
    Ich bin unsicher, inwieweit sich das auf ein Verhältnis zu Angehörigen übertragen lässt, würde aber vorschlagen, sich erstmal darauf zu verlassen, dass man wirklich so einiges hinbekommt, wenn es die Umstände erfordern.

    Die Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, auch Gespräche mit den Eltern (ich würde sehr empfehlen, zu reden, über Wünsche und Vorstellungen bezüglich der Lebensgestaltung im Alter, über Ängste, auch die eigenen, Möglichkeiten, Grenzen. Ich denke, dass eine – rechtzeitig – gemeinsam gefundene Lösung viel Last von den Schultern der Kinder nimmt, die im Zweifelsfall später für ihre Eltern entscheiden sollen) klingen für mich nach einem guten Umgang mit dem Thema Demenz.

    Viele Grüße und alles Gute!

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