Thomas Brandt ist Sozialkundelehrer und erteilt mir Politikunterricht. In der 23. Stunde lerne ich, was die Bundesregierung ist.
Ausführliche Shownotes und Unterstützungsmöglichkeiten gibt’s in Thomas’ Blog.
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Schöne knackige Sendung. 🙂
Ein paar Anmerkungen zur Vertrauensfrage:
1.) Thomas hat gesagt, Kohl habe damit angefangen. Das stimmt nicht. Willy Brandt hatte 1972 in sehr unruhiger Lage knapp das konstruktive Misstrauensvotum überstanden (mit zwei Stimmen Mehrheit; wie damals vermutet wurde und sich später bestätigt hat* waren mindestens zwei Unionsabgeordnete von der DDR bestochen worden, um Brandt die Kanzlerschaft zu retten – wir erinnern uns, der StaSi-Agent Günter Guillaume arbeitete damals schon im Kanzleramt) und wollte klare Rückendeckung für seine Politik haben. Brandt hat deshalb die Vertrauensfrage gestellt und gezielt verloren um vorgezogene Neuwahlen zu erreichen, die er dann haushoch gewann. (Die “Willy-Wahl” 1972).
2.) 1982 hat Kohl das konstruktive Misstrauensvotum gewonnen, wollte aber nicht als Anführer einer Putschisten-Regierung dastehen. Die Parlamentsmehrheit war stabil, es ging ihm also nicht um Machtzuwachs; unmittelbar vor der Vertrauensfrage hatte die neue Koalition extra noch den neuen Bundeshaushalt verabschiedet um ihre Handlungsfähigkeit zu beweisen. Die durch die verlorene Vertrauensfrage mögliche vorgezogene Neuwahl 1983 sollte die neue Koalition bestätigen und hat das dann ja auch getan.
3.) 2005 hat Schröder dann als dritter Kanzler die Vertrauensfrage absichtlich verloren. Man sieht an diesen Fällen, dass die Vertrauensfrage hier sowas wie ein Workaround ist. Anders als in vielen Länderverfassungen (siehe z.B. Niedersachsen) sieht das Grundgesetz aufgrund der vielen Neuwahlen in den letzten Jahren von Weimar nämlich nicht die Möglichkeit vor, dass das Parlament sich selbst auflöst. Der “Umweg” über eine gescheiterte Kanzlerschaft – sei es a) per verlorener Vertrauensfrage oder b) über eine erst im dritten Wahlgang und dort nur mit relativer Mehrheit erfolgte Kanzlerwahl – ist ganz bewusst die einzige Möglichkeit, vorzeitig aus einer Legislaturperiode rauszukommen, denn die Väter und Mütter des GG wollten mehr Stabilität erreichen.
* https://de.wikipedia.org/wiki/Steiner-Wienand-Aff%C3%A4re
Ich danke für die Extradetails. Den Brandt hatte ich gar nicht aufm Schirm.
Ihr redet sehr abschätzig darüber wie Schröder die Vertrauensfrage genutzt hat um die Mehrheit für den Kosovokrieg zu bekommen.
Dabei hat er sie eigentlich als einziger genau dazu genutzt wozu sie gedacht ist: Er hat seine Kanzlerschaft mit einer speziellen sachpolitischen Frage verknüpft und die Leute gefragt “seid ihr für mich oder gegen mich”. Und eine mehrheit des Bundestages wollte ihn dann behalten. Hätte er sie verloren gäbe es neuwahlen.
Alle anderen erwähnte Fälle waren ja ein einziger Workaround um Neuwahlen zu erreichen.
Naja, am Ende kannst du das halt auch als Erpressung sehen. Mir gefällt das Konzept da nicht. Aber im Vergleich zu den anderen Fällen hast du natürlich recht.
Ich stimme blub zu: Anders als es Thomas Brandt es darstellt (“wofür sie – sc. die Vertrauensfrage – nicht gedacht ist”), ist genau das die Funktion der Vertrauensfrage: die Abgeordneten der Regierungsfraktionen an die Kandare zu nehmen. Es ist sogar im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehen (Art. 81) die Vertrauensfrage mit einer Sachfrage zu verbinden. Dies kann im Falle eines ausgerufenen Gesetzgebungsnotstands sogar dazu führen, dass ein Gesetz erlassen wird, obwohl es vom Bundestag mehrheitlich abgelehnt wird.
Einen Fehler von Thomas Brandt hat allerdings auch blub übersehen: Schröder hat die Vertrauensfrage nicht mit der Zustimmung für den Kosovo-Einsatz verbunden, sondern mit der Zustimmung für den Afghanistan-Einsatz 2001. Der Kosovo-Einsatz der Nato begann im März 1999, also nur kurz nach dem Abschluss des rot-grünen Koalitionsvertrags. Das macht nicht so gut, sofort am Beginn der Koalition die Vertrauensfrage zu stellen.
Übrigens hat Schröder nicht als einziger die Vertrauensfrage (auch) in der Hoffnung gestellt, dass der Bundestag ihm tatsächlich das Vertrauen ausspricht. Auch Helmut Schmidt tat dies erfolgreich im Februar 1982 – weniger als acht Monate vor dem konstruktiven Misstrauensvotum.
Thomas Brandt ist der Auffassung, dass das Stellen der Vertrauensfrage mit dem Ziel, diese durch Enthaltung seiner eigenen Parteigänger zu verlieren und anschließend den Bundestag auflösen zu lassen, ein (übler) Missbrauch ist. Man kann dies so sehen. Wenn man unser Staatsrecht und unsere Staatspraxis halbwegs objektiv darstellen möchte, sollte man aber erwähnen, dass die beiden Vorgänge dieser Art, also 1982 durch Kohl und 2005 (nicht: 2004) durch Schröder, nicht nur meterweise verfassungsrechtliche Literatur hervorgerufen haben, sondern auch jeweils ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das in beiden Fällen einen Missbrauch VERNEINT hat.
Der nächste Kanzler, der die Vertrauensfrage stellt, um den Bundestag auflösen zu lassen, muss also auch damit rechnen, dass sich das Bundesverfassungsgericht wieder über den Fall beugen wird und er mit einer Parlamentsauflösung , weil gerade die Umfragen so günstig sind, wohl keinen Erfolg haben wird.
“Nächstes Jahr ist ja Bundestagswahl.” Auch mal interessant zu sehen, wie weit im Voraus diese Sendungen produziert werden.
Stabilität in den Wertekanon aufnehmen? Ist ein Witz, oder? Dann bitte auch gleich Stillstand.
Cannabislegalisierung
Gesundheitspolitik
Umweltpolitik
Einwanderungspolitik
etc.
Ich führe gerne aus!