Ende November 2002 führen SPD und Grüne “Hartz IV” ein. Matthias von Hellfeld erzählt.
Die passende Ausgabe “Eine Stunde History” läuft am 14. November 2022 auf DLFnova.
Ende November 2002 führen SPD und Grüne “Hartz IV” ein. Matthias von Hellfeld erzählt.
Die passende Ausgabe “Eine Stunde History” läuft am 14. November 2022 auf DLFnova.
Hallo Matthias und Holgi,
das war eine gute Sendung hat mir sehr gut Gefallen. Bei nächster Gelegenheit werde ich es weiter empfehlen.
Hartz IV hätte etwas werden können, wenn man im Bezug auf “Fördern und Fordern” das Hauptaugenmerk auf das Fördern gesetzt hätte. Was haben wir denn heute? Wir haben mehrere Millionen schlecht oder gar nicht ausgebildete Personen, die entweder von einer sinnlosen (aber für die Anbieter höchst lukrativen) Maßnahme in die Nächste geschickt werden, oder alle paar Monate aus ihrem Niedriglohnjob entlassen werden und wieder beim Jobcenter auftauchen. Kaum eingezahlt in die Rente, gebrochene Erwerbsbiographien, fest eingebuchte Altersarmut. Spätestens mit Mitte 40 weißt Du, wenn Du 10 Jahre in dem System gefangen bist, dass sich Arbeit faktisch nicht mehr lohnt, am Ende des Erwerbslebens steht ohnehin die Grundsicherung. Mit einer solchen Perspektive findest Du auch irgendwann keine Motivation mehr.
Man hätte von Anfang an die Interessierten fachlich qualifizieren müssen. Sei es im Rahmen einer Ausbildung oder eines Studiums. Rücken freihalten! Das hätte der “Staat” (also wir) tun müssen: “Hey Freund, bisher ist nicht gut gelaufen? Du findest es toll, an Autos rumzuschrauben? Okay, hier der Ausbildungsplatz und dafür bekommst Du von uns jeden Monat genug Geld, dass Du das auch sorgenfrei durchziehen kannst.”
Exakt das passierte aber nicht, stattdessen standen zweifelhafte Maßnahmen mit sinnlosen Zertifikaten auf dem Programm, 6 oder 9 Monate Vollzeit “Bewerbungstraining”. Man muss die Menschen “abholen”, ihnen zeigen, dass der Deutsche täglich um 7 Uhr aufsteht!
Das Ergebnis nach 20 Jahren sieht man: Es hat sich nichts geändert, außer dass wir die Arbeitslosen besser verstecken.
Ich bin Betroffener, körperlich eingeschränkt, leide an psychischen Problemen. Ich rauche nicht, ich saufe nicht, ich nehme keine Drogen, erfülle also die Klischees des RTL2-Hartzers nicht. Das Amt weiß nichts mit mir anzufangen, seit 3 Jahren soll mich der medizinische Dienst untersuchen, um endlich einmal festzustellen, was überhaupt noch geht. Aber der medizinische Dienst kann Untersuchungen in dem Umfang nicht leisten. Das war die Antwort.
Parallel wurschtel ich selbständig vor mich ein wenig hin, bringe es mit einer Dienstleistung (bei allerdings hohem finanziellen Einsatz) auf ca. 15.000 bis 20.000 Euro Umsatz im Jahr, allerdings bei in etwa genau so hohem finanziellen Aufwand. Ich bin mir sicher, es gäbe einiges zu verbessern, Qualifikation, Weiterbildung, professionelle Beratung. Alles habe ich beantragt, alles wurde abgelehnt. Stattdessen wirft man mir vor, ich würde mich nicht genug anstrengen, ich solle noch mehr arbeiten. Man streicht mir willkürlich betriebliche Ausgaben und rechnet fantastische, jedoch nicht existente Gewinne an. 8 Klagen vor dem Sozialgericht laufen seit mehreren Jahren. Immer wieder mit den identischen Sachverhalten, es werden grundsätzliche betriebliche Ausgaben auf 0 gesetzt und dann vierstellige Beträge zurückverlangt. Die ich nicht leisten kann, woher auch? Die waren zur Erzielung des Einkommens notwendig und wurden betrieblich bereits vor Jahren ausgegeben. Oder anders formuliert: Diese Mittel standen zu keinem Zeitpunkt für den Lebensunterhalt zur Verfügung.
Das Jobcenter verstößt dabei mit Vorsatz gegen geltendes Recht. Es gibt zu einigen Sachverhalten bereits Beschlüsse des Bundessozialgerichts, es gibt eindeutige Fachliche Hinweise der Bundesagentur, an die sich das Jobcenter zu halten hat. Das Jobcenter ignoriert dies und das Sozialgericht eiert seit Jahren herum.
Im Ergebnis kann ich nur sagen, dass wer sich bemüht und einer Arbeit nachkommt, allerdings “aufstocken” muss, so lange und immer intensiver gemobbt wird, bis er letztendlich das Handtuch wirft. Ich habe mir zum Ziel gesetzt, genau dies nicht zu tun, denn die Alternative wäre, zu Hause zu sitzen und gar nichts mehr zu tun. Dann könnte ich jedoch auch gleich aus dem Fenster springen, dann dann wäre mein Leben nicht mehr lebenswert.
Zu meinen Verhältnissen:
Sozialkontakte habe ich einen einzigen. Sonst niemanden. Mit mir spricht keiner. Ich habe mich allerdings auch zurückgezogen. Für mich gibt es nur noch meine Tätigkeit, die das Jobcenter torpediert, und jahrelange Klageverfahren mit dicken Aktenstapeln und hunderten Seiten Widersprüche und Klagen. Meine Restexistenz besteht nur noch daraus.
Einen Urlaub hätte ich bitter nötig, kann ich mir jedoch seit 15 Jahren nicht leisten. Schwimmbad? Kino? Unbezahlbar.
Und nun noch die Inflation. 50 Euro mehr soll es ab Januar geben. Danke für Nichts.
Im letzten Monat kam der Brief des Energieversorgers, statt 24 Cent pro Kilowattstunde zahle ich künftig 54 Cent, auch die Grundgebühr ist gestiegen. Und im Schnitt zahle ich so viel wie alle anderen auch. Im Regelsatz sind dafür 40 Euro vorgesehen im Bürgergeld. Faktisch werde ich 80 Euro im Monat zahlen.
Dazu die Lebensmittelpreise. Erst gestern kam der Bericht, dass viele Lebensmittel im September um über 40% teurer geworden sind. Im Supermarkt sehe ich Steigerungen bei vielen Produkten, die ich gerne gekauft habe, von über 100%. Wovon soll ich das noch bezahlen? Von 500 Euro Regelsatz? Das ist nicht machbar.
Ich bräuchte neue Kleidung, vor allem Winterpullover, Hosen, Schuhe. Ich brauche dringend eine neue Brille, aber wovon? Das Jobcenter hat mir zudem in der Vergangenheit vorab Leistungen gekürzt, weil man aus meiner Prognose (!) Betriebsausgaben strich, die ich kalkuliert habe und man mir VORAB Gewinne anrechnete, die ich auch nicht erzielen konnte. Insgesamt fehlt mir ein vierstelliger Betrag Sozialleistungen, die das Jobcenter zurück gehalten hat. Das Sozialgericht gab mir zwar durchaus recht, lehnte aber eine Einstweilige Anordnung im Rechtsschutzverfahren ab, da der Betrag von Kürzungen in Höhe von 150 Euro im Monat nicht existenzbedrohend genug sind.
Den Glauben an den Rechtsstaat habe ich schon lange verloren. Rechthabereistaat passt besser. Nicht für den Menschen, sondern im Zweifel für die Behörde.
Ich kenne die Zeiten der Arbeitslosenhilfe nicht, ich habe zu der Zeit eine Ausbildung gemacht und gearbeitet. Ich kann daher nicht beurteilen, ob es damals besser war.
Aktuell habe ich nur noch eines: Angst!
Angst, dass ich die Wohnung verliere, Angst, dass ich mich nicht mehr ausreichend mit Lebensmitteln versorgen kann, Angst um das Ergebnis meiner Klagen. Wenn diese scheitern, bin ich von einem Tag auf den anderen um einen mittleren 5stelligen Betrag verschuldet. Mein Rentenbescheid, den ich jedes Jahr erhalte, verspricht mir eine Altersrente in Höhe von weniger als 100 Euro im Monat. Selbst der bestbezahlteste Job Welt würde mich bis zur Rente nicht mehr über das Niveau der Grundsicherung bringen können.
Welche Perspektive hab ich? Ich sehe keine möglichen Optionen.
Und anstatt endlich die “Freibeträge”, die seit 2003 auf 100 Euro verharren, endlich mal zu erhöhen, dass man als Aufstocker von Erwerbsarbeit mehr Geld zur Verfügung hat und nicht weiterhin im Armenhaus sitzt, denkt man eher darüber nach, den mickrigen Freibetrag ganz abzuschaffen. Ich arbeite aktuell für 100 Euro mehr im Monat gut 200 Stunden im Monat. Wie heißt es so schön? Arbeit muss sich lohnen. Arbeit lohnt sich für mich seit Jahren nicht. Aber auf die 100 Euro “Freibetrag” kann ich nicht verzichten. Aktuell sogar noch viel weniger.
Am Ende wird man gar verhöhnt, von 60.000 Euro Freibetrag wird gesprochen, bei Familien gar 150.000 Euro. Verdammt nochmal, Ich hatte in meinem Leben noch nie 10.000 Euro auf dem Konto. Man könnte auch 5 Millionen Freibetrag beim Vermögen versprechen. Toll auf dem Papier, aber wer von den ganzen Geringverdienern erreicht dies? Die meisten (inklusive mir) haben weniger als 1.000 Euro auf dem Konto, am Ende des Monats meist gegen 0 Euro.
Bei all den Diskussionen kann ich nur noch mit dem Kopf schütteln. Aber was kann ich schon tun? Ich bin dem System ausgeliefert und muss damit leben, was die Damen und Herren in ihrem Elfenbeinturm beschließen. Bei Häppchen und Freigetränken, die alleine in etwa so teuer sind, was ich im ganzen Monat zur Verfügung habe.
Ach ja:
Vor Sanktionen habe ich keine Angst. Sanktionen habe ich in all den Jahren keine erhalten, ich habe mich auch immer an alle Spielregeln gehalten. Wenn ich Bewerbungen schreiben sollte, hab ich Bewerbungen geschrieben, wenn ich sinnfreierweise regelmäßig mit Sanktionsandrohung im Amt antanzen musste, bin ich im Amt angetanzt. Ich mache mich alle 6 Monate nackig, lege peinlich genau jeden einzelnen Kontoauszug vor, alles kann man bei mir nachvollziehen. Ich bin komplett gläsern. Jede noch so kleine Buchung auf dem Konto wird kontrolliert und überwacht. Da ich selbständig bin: Nahtlos, lückenlos.
Das schafft selbst das Finanzamt nicht.
Was mir aber viel mehr Sorge macht:
Wenn mir mal wieder im Vorfeld Leistungen gekürzt werden durch die Anrechnung fiktiver Gewinne, die gar nicht existieren, sondern nur dadurch erreicht werden, weil das Jobcenter meine Prognosen manipuliert. Auch habe ich ständig Angst, dass mir die Leistung einfach komplett entzogen wird. Dazu braucht es dann keine Sanktion, sondern einfach nur unsachliche und unbegründete Behauptungen eines Sachbearbeiters. Mir ist das zum Glück noch nicht passiert, aber es sind jede Menge solcher Fälle dokumentiert.
Ich bin einer Behörde ausgeliefert. Wehrlos. Und das schafft Angst, Panikattacken und Albträume!
Es gab eine Phase, da bin ich beim Termin weinend zusammengebrochen, habe klar geäußert, dass ich keine Kraft mehr habe und es nicht mehr aushalte. Der Sachbearbeiter redete unvermittelt weiter, ich war gar nicht mehr in der Lage, zuzuhören, um was es eigentlich ging. Mein Zustand war dem Sachbearbeiter völlig egal. Am Ende hielt er mir eine Eingliederungsvereinbarung unter die Nase, die ich unterschreiben sollte. Ich hatte zum Glück einen Beistand dabei und dieser hat die EGV für mich zurückgewiesen. Aber davon will niemand etwas wissen. Bedauerlicher Einzelfall.
1. “Die Würde des Menschen ist unantastbar.”
2. “Papier ist geduldig.”
Auch wenn es dir nichts bringt: Ich weiß genau, wie du dich fühlst.
Tatsächlich erscheint es mir, als wäre dieses System dazu erdacht, Menschen in den “freiwilligen” Selbstmord zu treiben. Das erzeugt weniger öffentliche Empörung als Erschießungskommandos für unerwünschte und wahrscheinlich schon zu Grundschulzeiten aussortierte, weil nicht tolle, Leistungsfähige Menschen. Man darf es nur nicht öffentlich zugeben. Hauptsache, man erscheint als guter Mensch. Ob es tatsächlich so ist, ist egal.
Habe nur aus Zufall hier auf die Kommentare geklickt. Anhören kann ich mit so was längst nicht mehr.
Was soll ich sagen, um.dich zu trösten? Es fällt mir nichts ein. Leider. Versuch einfach irgendwie am Leben zu bleiben. Gib ihnen nicht freiwillig, was sie wollen.